• Deutschlands China-Strategie

Die Trias „Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale“ beschreibt aus europäischer und deutscher Sicht das Verhältnis zu China. Wie sich künftig Deutschland zum ökonomischen und geopolitischen Schwergewicht in Asien verhalten wird, beschäftigt gegenwärtig die Bundesregierung. Auf einer Digitalkonferenz des SPD-Wirtschaftsforums am 20. Januar diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wesentliche Inhalte einer China-Strategie. Wie sich Abhängigkeiten reduzieren und gleichzeitig politische und wirtschaftliche Interessen wahrnehmen lassen, waren Themen der von Verbandsvizepräsident Matthias Machnig moderierten Diskussion.

Europa müsse anerkennen, dass China nicht nur in Europas Nachbarschaft, sondern im Innern der EU ein relevanter Akteur sei, etwa wenn es darum gehe, auf Debatten innerhalb der EU Einfluss zu nehmen, auf die Zivilgesellschaft, auch auf politische Haltungen von Mitgliedstaaten, etwa bei Menschenrechten, sagte Prof. Dr. Daniela Schwarzer, Executive Director, Open Society Foundations, in ihrem Statement. Für Deutschland und Europa gehe es darum zu erfassen, welche Bedeutung China heute als Wirtschaftspartner und großer Akteur in internationalen Government-Strukturen habe, aber auch darum, Chinas Strategie zu verstehen. Man müsse die sehr starke Abhängigkeit von China in den Blick nehmen. Gerade bei der Rohstoffabhängigkeit und bei seltenen Erden entwickle die Politik bereits alternative Herangehensweisen, um Versorgungssicherheit herzustellen, ohne das wirtschaftliche Verhältnis mit China zu kappen. Die Fairness in den Handelsbeziehungen müsse stärker beachtet werden. Immer wieder versuche man, China auf Standards zu verpflichten, zum Beispiel im Handels- und Investitionsabkommen, das nicht ratifiziert wurde.

Kein Widerspruch zwischen werte- und interessegeleiteter Außenpolitik
Auf die Frage nach der Abwägung von Werten gegenüber Interessen sagte Schwarzer: „Ich sehe keinen Widerspruch zwischen einer werte- und einer interessensgeleiteten Außenpolitik.“ Blicke man global, liege es im deutschen Interesse, dass China als internationaler Akteur die internationale Ordnung, die rechts- und auch menschenrechtsbasiert funktionieren sollte, nicht untergräbt. Man sehe beispielsweise, dass sich China in den Vereinten Nationen und Unterorganisationen über seine Personal-  und Finanzierungspolitik bereits ein großes Maß an Einfluss erarbeitet habe. Hier habe der Westen nach Einschätzung Schwarzers zu lange zugeschaut. Es sei und bleibe im deutschen Interesse, dass es eine internationale, regelbasierte Ordnung gebe, in der Grundrechte und Grundwerte aufrechterhalten würden. Schon jetzt befinde man sich hier im normativen Konflikt mit China, was sich noch verstärken dürfte, so die Wissenschaftlerin.

Dr. Tobias Lindner, Michael Müller, Prof. Dr. Daniela Schwarzer und Andreas Rade (von oben links)

Digitalkonferenz zu Deutschlands China-Politik mit Dr. Tobias Lindner, Michael Müller, Prof. Dr. Daniela Schwarzer und Andreas Rade (von oben links)

Die große Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft stellte Andreas Rade dar, Geschäftsführer Politik & Gesellschaft, Verband der Automobilindustrie (VDA). Er verdeutlichte die Zielwidersprüche, die es mit Blick auf China gebe. Für Deutschland als Exportnation sei es wichtig, den großen Absatzmarkt China zu behalten und mit Erfolg vor Ort zu sein. In der Branche gelte das für OEMs ebenso wie für die Zuliefererindustrie. Weiterhin sei China ein wichtiger Bezugsmarkt für Rohstoffe. Für das Thema Elektromobilität sei China entscheidend. Das gelte mit Blick auf Rohstoffe und die dort produzierten Vorprodukte. Außerdem seien Europa und China die aktuellen Hochlaufmärkte für die E-Mobilität, und man könne deshalb nicht sagen, dass man sich aus dem am schnellsten wachsenden Markt zurückziehe. „De-Coupling ist keine Option“, so Rade. Schließlich sei China ein Innovationsort. Wenn man vorne mitspielen wolle – und das tue die Branche und wolle sie auch künftig tun –, müsse man auch dort präsent sein, wo Innovation entsteht. Das gelte nicht nur für E-Mobilität, sondern auch für vernetztes Fahren.

Der VDA-Geschäftsführer ging auch auf das Stichwort Rivale bzw. Wettbewerber ein.  Die chinesischen Unternehmen stünden bereit, in Europa an den Markt zu gehen. Für die hiesige Branche sei dieser Wettbewerb, der fair sein müsse, gut, weil er Innovation schaffe. Umgekehrt müsse man aber auch dort vor Ort sein, wo man mit Wettbewerbern, die nach Europa kommen, im Wettbewerb stehe. All dies müsse die China-Strategie beachten.

Standortpolitik gefordert
Auf Matthias Machnigs Frage, was die deutsche Automobilindustrie dafür tue, mehr europäische Souveränität in bestimmten Technologiefeldern, etwa bei der Batteriezellproduktion, zu erreichen, verwies Rade auf die Milliardeninvestitionen von Herstellern und Zulieferern in die Transformation, in Europa ebenso wie in China. Die Frage nach einer geeigneten Taktik müsste in erster Linie die Industrie beantworten. Aber es sei Aufgabe der Politik, Standortpolitik zu betreiben. Das gelte für Innovation, Forschung, Fachkräfte und Genehmigungsverfahren. „All das brauchen wir. Und die Industrie selbst ist gefragt, mit den Produkten vorne zu sein. Dem stellen wir uns“, sagte Rade.

Dr. Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, skizzierte die Schwerpunkte der Strategie der Bundesregierung. „Es geht bei der China-Strategie darum, dass wir unsere Beziehungen managen, dass wir Klarheit schaffen für uns selbst, für unsere Wirtschaft, für unsere Partner in Europa, aber auch in den USA, gerade dann, wenn unsere Interessen ähnlich, aber nicht 100 % deckungsgleich sind.“ Klarheit gelte es aber auch für China zu schaffen, damit China wisse, auf welchen Feldern man mit Deutschland Handel treiben und kooperieren könne und wo nicht, so Lindner. Dagegen gehe es nicht um ein De-Coupling bzw. einen Rückzug deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt, sondern um Risikoanalyse und Diversifikation. Risiko bestehe vor allem dort, wo es kritische, einseitige Abhängigkeiten gebe. Solange Abhängigkeiten wechselseitig seien und man sich in einer „Schicksalsgemeinschaft“ befinde, ließe sich das auch politisch handhaben. Wo allerdings einseitige, kritische Abhängigkeiten bestünden, gehe es in die Diversifikation.

Gefragt nach praktischen Konsequenzen und konkreten Instrumenten der Politik, führte der Staatsminister die Investitionsprüfung auf dem deutschen Markt an. Es werde geprüft, wo das Risiko einseitiger, kritischer Abhängigkeiten, etwa bei Schlüsselindustrien, bestehe. Man nehme wahr, dass China zunehmend eine Politik verfolge, sich selbst unabhängig vom Ausland zu machen und gleichzeitig Abhängigkeiten des Auslands von China zu stärken. Weiterhin habe die Bundesregierung im Vergleich zur Vorgängerregierung schon jetzt ihre Politik bei Bürgschaften und Garantien signifikant verändert. Es werde keine Staatsgarantien mehr für Investitionen geben, bei denen begründete Hinweise auf Zwangsarbeit oder schwere Menschenrechtsverletzungen vorlägen. Identifiziere man einseitige kritische Abhängigkeiten, gehe es auch darum, mit Drittstaaten Möglichkeiten für eine Diversifikation der Lieferbeziehungen zu stärken. Die USA machten das schon heute im Bereich der kritischen Halbleiterindustrie.

Ob eine China-Strategie die Komplexität der Beziehungen wirklich abbilden könne, fragte Verbandsvizepräsident Machnig anschließend Michael Müller, MdB und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Natürlich gebe es Grenzen einer solchen Strategie, andererseits zwinge sie aber zu einer selbstkritischen Bestandsaufnahme, so der Abgeordnete. Die wertegeleitete Außenpolitik sei ein zwingender Teil deutscher Außenpolitik. Dass Werte und Menschenrechte geachtet würden, in Deutschland und bei den Partnern, liege im deutschen Interesse. Deutschland habe wirtschafts- und umweltpolitische Interessen, die ohne China nicht zu bewältigen seien. Zudem verfolge Deutschland mit Blick auf China diplomatische Interessen, denn China habe Zugang zu einigen Gesprächspartnern, den Deutschland nicht habe. „Wir müssen ganz klar unsere Interessen formulieren, nur eine moralisierende Außenpolitik reicht nicht“, sagte Müller. Er hält es für richtig, die Anforderungen Deutschlands zu formulieren, die aber ganz klar die deutschen Interessen widerspiegeln müssten.