• Geoökonomie: Innovation ist Europas Chance

10.05.2024

Mit dem jüngsten Buch „Geoeconomics – Ökonomie und Politik in der Zeitentwende“ legt das Wirtschaftsforum der SPD mittlerweile bereits den vierten Band seiner „-nomics-Reihe“ vor. Wie viel Diskussionsstoff die darin präsentierten Themen liefern, zeigte unsere Veranstaltung am 8. Mai im Telefónica-Basecamp, Berlin. Nach der Einführung durch Verbandspräsidentin Prof. Dr. Ines Zenke diskutierte Vizepräsident Matthias Machnig mit der Handelsökonomin Dr. Katrin Kamin und Joe Kaeser über aktuelle geopolitische und -ökonomische Herausforderungen sowie gangbare Strategien für Deutschland und Europa.

„Wir erleben gerade eine grundlegende Veränderung der globalen Wirtschaftsordnung. Jetzt schlagen geopolitische Aspekte auf die Wirtschaftspolitik durch. Der Einsatz von Energie als Waffe bis vor kurzem nicht vorstellbar. Wie abhängig wir uns gemacht haben, hat sich erst nach und nach als Erkenntnis durchgesetzt“, sagte Zenke in ihrer Eröffnung. Das wirke sich auf Lieferketten und etablierte Strukturen aus. Heute könne man nicht mehr so lokal und eindimensional denken wie vielleicht noch vor zehn Jahren, als Entscheidungszeiträume länger und Entscheidungen vorhersehbarer waren. Aber nicht nur China und Russland, auch die USA stellen Europa vor neue Herausforderungen, etwa mit dem „Inflation Reduction Act“, auf den Europa Antworten finden müsse. „Einige Antworten finden sich in unserem neuen Buch, das ich für das bisher fulminanteste der Reihe halte“, so Zenke.

Wirtschaftspolitischen Diskurs erweitern
Vizepräsident Matthias Machnig, maßgeblich für die Publikation verantwortlich, moderierte die anschließende Diskussion mit Dr. Katrin Kamin, Fellow am Kiel Institut für Weltwirtschaft, sowie Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender Siemens Energy und Daimler Truck. Machnig ging auf die Bedeutung solcher Publikationen für den politischen Diskurs ein. „Warum machen wir als Wirtschaftsforum überhaupt Bücher? Um aus der Binnenlogik des politischen Betriebs hin auf eine Problemlogik zu kommen“, antwortete Machnig gleich selbst. Aufgabe des Verbands sei es, den Dialog zwischen Wirtschaft und Politik zu organisieren. Zwischen beiden Seiten gebe es bisweilen Kommunikationsprobleme. Deshalb gehe es auch darum, den politischen Diskurs zu erweitern. Mit „Geoeconomics“ habe man dieses Ziel verfolgt und auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien um Beiträge gebeten. Er nannte beispielhaft Robert Habeck, Christian Dürr oder Omid Nouripour.

Das Buch thematisiere eine Phase, in der die bisherige Friedensordnung von einer Konfliktordnung abgelöst worden sei. Noch sei nicht klar, welche Richtung diese Entwicklung nehme. Machnig ging auf die Begriffe Geopolitik und Geoökonomie ein. Er verwies auf die USA und China, um zu verdeutlichen, dass dort wirtschaftliche Macht genutzt werde, um geopolitische Interessen durchzusetzen. Dabei spielten gerade Technologien eine zentrale Rolle, um sich politisch und wirtschaftlich unabhängig zu machen. Kritisch bewertete er in dem Zusammenhang die Position Europas. Innerhalb der Triade USA-China-EU stelle die EU das schwächste Glied dar. In kaum einem Bereich sei man noch Technologieführer. Mehr Investitionen in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas seien dringend erforderlich. Außerdem appellierte er: „Wir müssen den Sicherheitsbegriff neu denken, auch wirtschaftspolitisch, weil diese Fragen bisher unterbelichtet sind.“

Globalisierung als Motor der Veränderungen
Die Handelsökonomin Dr. Katrin Kamin korrigierte allerdings den Eindruck, die grundlegenden geopolitischen und -ökonomischen Veränderungen seien erst 2022 deutlich geworden. Vielmehr hätten diese Verschiebungen sehr viel früher, nämlich bereits mit der Globalisierung begonnen. Deswegen könne man nicht von kurzfristigen Trends oder Modeerscheinung sprechen.

Auf die Frage Machnigs, wie die Wirtschaft die Veränderungen wahrnehme und ob die Themen bei den Unternehmen angekommen seien, verwies Joe Kaeser auf die Globalisierung als Resultat des Strebens nach einem besseren Leben. Als Folge gebe es heute viele Spieler in der Welt, zu denen natürlich auch China gehöre. Aus seiner Sicht hat eine starke Diversifizierung – zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern, zwischen urbanen Zentren und dem Land – zur Zeitenwende geführt.

Machnig thematisierte auch Strategien wie “De-risking” und “Investment-Screening”. Für Kamin gehen die Abhängigkeiten deutlich über Produkte, Absatzmärkte und Rohstoffe hinaus. Abhängig habe man sich auch in „Data, Finance, and Technology“ gemacht. „China fordert die USA und Europa heraus, zusammen mit den bereits bestehenden Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten aufgrund der Globalisierung“, so Kamin.

Eine deutlich höhere Komplexität und Geschwindigkeit der Weltwirtschaft konstatierte auch Joe Kaeser. Heute begegneten sich „mehrere Kräfte auf Augenhöhe“, sagte der ehemalige Siemens-CEO.

Dass man gegenwärtig dennoch eine Zäsur erlebe, hielt Verbandsvizepräsident Machnig fest. Man befinde sich in Europa und ebenso im Nahen Osten mitten in einer Konfliktordnung. Man erlebe Protektionismus; eine Kontinuität bisheriger Verlässlichkeit scheine problematisch.

Kamin stimmte dem insofern zu, als dass viele Unternehmen durchaus Schwierigkeiten hätten, weil sie auf bestimmte Zulieferer gesetzt hätten. Deutschland stelle hier ein Sonderfall dar, denn von Geopolitik sei hier noch nicht sehr lange die Rede.

Kernkompetenz Innovation
Mit Blick auf mögliche Strategien sagte Kaeser, man müsse sich in Europa fragen, welche Kernkompetenzen man habe, die sich für die anderen lohnen. Anders als die USA und China, die beide über große Binnenmärkte verfügten und diese auch künftig sichern könnten, sei der europäische Binnenmarkt deutlich kleiner und verfüge auch über keine vergleichbare Wachstumsperspektive. Allerdings habe Europa ein Gespür für Innovationen und müsse in der Lage sein, etwas zu bauen, was für andere attraktiv sei.

Auch das Ausmaß wirtschaftlicher Abhängigkeiten wurde thematisiert. Deutschland sei von China sehr viel abhängiger als jemals von Russland, hielt Matthias Machnig fest. Ein hartes „De-coupling“, so Kamin, hätte auf allen Seiten massive Auswirkungen. Gleichzeitig kritisierte sie, Deutschlands Abhängigkeit von China werde aufgebauscht. „De-risking“ und Diversifizierung seien aber in jedem Fall wichtige Strategien. Sie riet zu neuen, strategischen Handelspartnerschaften, und Deutschland insgesamt benötige eine geopolitische Strategie: „Es ist wichtig, dass wir unsere Bedarfe formulieren und davon unsere Strategien ableiten“, so die Ökonomin.

Wie zentral Innovation für einen auch in Zukunft erfolgreichen europäischen Binnenmarkt ist, dass Innovationen finanziell unterlegt sein müssen und als Teil der Geoökonomie zu verstehen sind, war zugleich Konsens und abschließender Appell der Diskutanten.

Verbandspräsidentin Prof. Dr. Ines Zenke

Verbandspräsidentin Prof. Dr. Ines Zenke

Vizepräsident Matthias Machnig

Vizepräsident Matthias Machnig

Buchvorstellung "Geoeconomics" im Telefónica Basecamp, Berlin

Buchvorstellung „Geoeconomics“ im Telefónica Basecamp, Berlin

Diskussion mit Joe Kaeser, Dr. Katrin Kamin und Mattias Machnig

Diskussion mit Joe Kaeser, Dr. Katrin Kamin und Mattias Machnig

Diskussion mit Joe Kaeser, Dr. Katrin Kamin und Mattias Machnig

Diskussion mit Joe Kaeser, Dr. Katrin Kamin und Mattias Machnig

Joe Kaeser, Dr. Katrin Kamin und Mattias Machnig

Joe Kaeser, Dr. Katrin Kamin und Mattias Machnig