19.12.2022
FF Außenwirtschaft und Europa

Über die richtigen Antworten Europas auf den US Inflation Reduction Act diskutierten unsere Mitglieder mit Kerstin Jorna, Generaldirektorin GD Binnenmarkt und Industrie (DG GROW) der Europäischen Kommission, der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klima, Dr. Franziska Brantner, sowie Matthias Krämer, dem Leiter der Abteilung Außenwirtschaft beim BDI bei einer Digitalkonferenz am 19. Dezember. Alle drei Panelisten plädierten für eine Besinnung auf Europas Stärken angesichts der herausfordernden US-Standortpolitik. Gleichzeitig gelte es, den Prozess der EU-Beihilfen dringend zu beschleunigen und bürokratisch zu entlasten.

Kerstin Jorna begrüßte generell, dass sich die USA jetzt auf den Weg zur Dekarbonisierung ihrer Industrie machten. Denn dies bedeute, dass es insgesamt einen größeren Markt für Technologien geben werde, die auch hier in Europa entstünden. Sie stellte dar, warum sich das europäische Geschäftsmodell trotz des attraktiven Angebots, das der US Inflation Act Unternehmen macht (Capex, Opex, Steuererleichterungen), aus ihrer Sicht nicht zu verstecken brauche. Zumal man in Europa einen Ansatz verfolge, der nicht nur auf das Angebot, sondern auch auf die Nachfrage und tatsächlich das gesamte Geschäftsmodell abziele: Technologie, Rohstoffe, Arbeitnehmerfähigkeiten, Investitionen und Markt.

Automobil, Chemie, metallverarbeitende Industrien
Beispielhaft ging sie auf die Branchen der Automobil-, metallverarbeitenden und chemischen Industrie ein. In der Automobilbranche werde bis 2030 ein Wachstum von 3,8 Prozent erwartet. Deutschland als größtes Autoland in der EU erziele fast ein Viertel seiner volkswirtschaftlichen Einnahmen über die Automobilwirtschaft. Ein Volumen, das auch auf den europäischen Binnenmarkt und gemeinsame Abgasnormen zurückzuführen sei. Für die gemeinsamen Investitionen in die Zukunft stelle die europäische Aufbau- und Resilienzfazilität (European Recovery and Resilience Facility) 34 Mrd. Euro in Europa bereit, um Kaufanreize und nationale Steuerbefreiungen einzuführen sowie die Ladeinfrastruktur auszubauen. Aber auch die Binnenmarktgesetzgebung unterstütze die Branche. So habe Europa als erster Kontinent einen rechtlichen Rahmen für das automatisierte Fahren geschaffen. An diesem Beispiel und anderen lasse sich der „Brüssel-Effekt“ nachvollziehen, so Jorna. Andere Länder würden die EU-Gesetzgebung übernehmen, was wiederum gut für Europa sei, weil dann innerhalb eines gleichen Rahmens gearbeitet werden könne. Eine jüngst veröffentlichte Studie habe über einen Zeitraum von elf Jahren 83 Länder betrachtet und es habe sich ein deutlicher „Brüssel-Effekt“ feststellen lassen, insbesondere in den Bereichen Maschinenbau, Sicherheit und Nahrungsmittel. Jetzt sei es wichtig, Angebot und Nachfrage im Binnenmarkt gut abzudecken.

Die metallverarbeitende Industrie bezeichnete die Generaldirektorin als eine Schlüsselindustrie für Europa, auch wegen des Knowhows, das die Industrie vereine. Um die hohen Energiepreise zu kompensieren, müsse diese sehr energieintensive Industrie unterstützt und gehalten werden. Dafür seien aktuell mehr Beihilfen nötig. Auch mit Mitteln aus der EU-Recovery Facility würden die Unternehmen unterstützt, etwa bei Investitionen zur Einführung elektrischer Öfen für Keramik oder auch für Stahl.

Auch für die chemische Industrie machte Jorna einen sehr soliden europäischen Business Case aus. 40 Prozent der Unternehmen dieser Branche hätten selbst in der aktuell schwierigen Situation angesichts der Energiepreise im Binnenmarkt ein Umsatzwachstum ermöglicht. Einer der großen Herausforderungen für die Industrie wird Jorna zufolge grüner Wasserstoff sein, der nicht aus Gas gewonnenes Ammoniak verwendet. Sie kündigte für den kommenden Monat die Veröffentlichung eines zusammen mit der Branche erstellten Übergangspfads für die Industrie bis 2030 an. Er werde für die Unternehmen übersichtlicher machen, was wann umzusetzen sei, welche technischen Lösungen benötigt würden, wo Investitionslücken bestünden und wo der Rechtsrahmen eine unterstützende Rolle spielen könne.

Die EU-Generaldirektorin stellte abschließend fest, dass die EU längst auf dem Weg sei, eine 24/7-Versorgung mit grüner und erschwinglicher Energie zu ermöglichen. Es gebe in Europa schon heute zahlreiche Investitionsprojekte, die zusammengenommen auch für eine so energieintensive Branche wie die metallverarbeitenden Industrien mit ihren hohen Industriekosten einen vollständigen und guten Business Case darstellten: „Europa ist in einer starken Position, die sauberen Technologien von morgen zu entwickeln. Aber wir müssen Maßnahmen ergreifen, um diesem durch den IRA ausgelösten Wettbewerbsschock entgegenzuwirken und den Business Case in Europa zu unterstützen.“

EU-Beihilferecht beschleunigen und IPCEI entschlacken
Wie die Kommissionsvertreterin nimmt auch die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Franziska Brantner IRA als positives Zeichen, dass die USA beim Aufbau nachhaltiger Märkte wieder eine aktive Rolle spielten. Die öffentliche Diskussion über IRA vernachlässige zudem häufig, dass in dem Paket auch begrüßenswerte soziale Kriterien berücksichtigt würden, etwa Ausbildungsplätze und die Stärkung der Gewerkschaften. Dennoch bedeutete IRA eine große Herausforderung. Gerade in einer Situation, wo europäische Unternehmen wegen hoher Energiepreise, fehlender Fachkräfte, lückenhafter Lieferketten und bürokratischer Hürden unter Druck stünden, böten die USA nun eine attraktive Alternative. Es gelte jetzt, in einzelnen Bereichen dafür zu kämpfen, dass bei den bisher sehr engen Begrenzungen des IRA die europäischen Partner noch dazu kommen können.

Insgesamt müsse Europa seine Hausaufgaben machen und schneller vorankommen, das gelte insbesondere für die Beschleunigung von Beihilfeverfahren und die Entschlackung der großen Projekte (IPCEI). „Es ist gut, dass die USA endlich ernst machen beim Klimaschutz. Industriepolitisch stellt uns der IRA aber vor Herausforderungen. Wir wollen einerseits mit den USA Verbesserungen für die europäischen Unternehmen in der Umsetzung des IRA erreichen. Andererseits sollten wir in Europa den IRA als Ansporn nehmen, unsere eigene grüne Industriepolitik beschleunigt umzusetzen. So stellen wir sicher, dass grüne Technologien hier in Europa produziert und eingesetzt werden, die Industrie durch die Transformation gestärkt wird und wir neue Industriearbeitsplätze schaffen“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin.

Auf die ermutigenden Signale in der transatlantischen Handelspolitik seit dem Amtsantritt von Präsident Biden ging Matthias Krämer, BDI, ein. Er nannte insbesondere die Gründung des Trade and Technology Council, der mögliche Fortschritte im transatlantischen Wirtschaftsraum erörtere. Auf Verbandsseite sei parallel die Transatlantic Business Initiative gegründet worden, um den Prozess mit möglichst einer Stimme der deutschen Wirtschaft zu begleiten. Ebenso wie die Regierungsvertreterinnen lobte Krämer, dass die USA „zurück auf dem Spielfeld“ seien. Auch weil sich das transatlantische Verhältnis mit der neuen US-Administration insgesamt recht gut entwickele, habe der BDI früh dafür geworben, eine eher zurückhaltende handlungspolitische Antwort zu formulieren. Denn: „Ein Subventionswettlauf oder Handelskonflikt bringt uns nicht weiter. Die EU muss eine ehrliche Debatte über den Wirtschaftsstandort Europa führen. Wir brauchen eine kluge industriepolitische Antwort auf den IRA, die Innovationen und Zukunftstechnologien in den Fokus nimmt.“