Der exzellente China-Kenner nimmt kein Blatt vor den Mund. Seit 1997 ist Jörg Wuttke Generalbevollmächtigter der BASF in China, Präsident der Europäischen Handelskammer in China (EUCC) ist er bereits in der dritten Amtszeit. Für den Blog politische Ökonomie sprach Verbandsvizepräsident Matthias Machnig mit Jörg Wuttke über Chinas Coronastrategie, das amerikanisch-chinesische De-Coupling, Europas Risiken und Chancen sowie Deutschlands China- bzw. Resilienz-Strategie.
Dass die Proteste gegen die staatliche Null-Covid-Politik „so schnell hochgekocht“ sind, schätzt Wuttke als „bedenklich“ ein. Es sei das erste Mal gewesen, „dass in mehreren Städten Chinas direkt gegen die Regierung demonstriert wurde, wenn auch in kleinerem Maßstab.“ Nach drei Jahren “Dauer-Testen und Dauer-Restriktionen“ seien die Menschen ermüdet und wünschten sich wieder Normalität. Auf der anderen Seite herrsche in der Bevölkerung Misstrauen gegenüber Impfungen, was zu einer vergleichsweise geringen Impfquote führe.
Mit voraussichtlich 2,8 Prozent im laufenden Jahr liege das Wirtschaftswachstum weit unter den schon üblich gewordenen knapp zweistelligen Zuwächsen der vergangenen Jahre und gleiche beinahe einer Rezession, so Wuttke. Auch wenn es im produzierenden Gewerbe noch stabil laufe, sei der Service-Sektor besonders hart getroffen. Das merke man bei der Jugendarbeitslosigkeit, die offiziell in urbanen Gebieten bei 20 Prozent liege. Wie Mehltau habe sich die Covid-Politik über das ganze Land gelegt. Deshalb schätzt Wuttke auch den kurzfristigen Wirtschaftsausblick über die kommenden ein bis zwei Jahre als „mau“ ein.
Aus Sicht des EUCC-Präsidenten ist es elementar, gegenüber der chinesischen Regierung zu kommunizieren, „dass Marktmechanismen weiterhin wichtig für uns sind. Durch die Urbanisierung und das Entstehen einer anspruchsvollen Mittelklasse wurde unsere Automobil- und Chemieindustrie und auch der Maschinenbau enorm vorangebracht. Wir haben hier viel Entwicklung vorangetrieben, wenig Forschung, sondern Entwicklung, weil die Kunden hier sehr viel anspruchsvoller sind als Otto-Normalverbraucher in Deutschland. Wir werden jetzt jedoch in eine Phase kommen, in der wir umdenken müssen.“ Wuttke stellt vor allem die große Bedeutung der Chemie-, Automobil- und Maschinenbaubranche in China heraus. Die Hälfte des globalen Chemie-Marktes befinde sich in China, ebenso ein Drittel des weltweiten Automobil-Marktes. „Die großen Unternehmen müssen hier mit dabei sein“, ist Wuttke überzeugt. Wer nicht mitspiele, habe verloren. Anders entwickle sich die Situation der Mittelständler, die sich gegenwärtig ein zweites Standbein in Ländern wie Indien oder Thailand suchten. Auch die Covid-Politik habe dazu geführt, „dass China de facto allen anderen Ländern die Tür aufmacht für europäische Investitionen…“, so Wuttke.
Auf das „De-Coupling“ zwischen den USA und China geht der Experte ebenfalls ein und spricht von einer „de facto Halbleiter-Kriegserklärung der Amerikaner“. Diese Entwicklung dürfe politisch nicht noch mehr entgleisen. Mit Blick auf eine China-Strategie Deutschlands rät Jörg Wuttke dazu, darauf zu achten, „dass die Firmen, wenn sie international auftreten, europäische Werte vertreten in dem Rahmen, in dem sie das auch beeinflussen können. Das heißt natürlich zuvörderst, innerhalb ihrer eigenen Fabrik-Tore dafür zu sorgen, dass dort de facto deutsche Verhältnisse herrschen. Aber auch dafür zu sorgen, dass die Lieferkette anständig ist. Das muss man nachweisen und wissen können. Ansonsten darf man meines Erachtens nicht mitspielen.“
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