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Berlin, 29. Juni 2020. Matthias Machnig, Vizepräsident des Wirtschaftsforums der SPD e.V., hat mit dem Business Insider über die Notwendigkeit eines weiteren Konjunkturpaktes, die Bedeutsamkeit einer aussagekräftigen Wirtschaftspolitik der SPD und mögliche Kanzlerkandidat:innen gesprochen.

Business Insider: Das Konjunkturpaket der Bundesregierung wird vielfach gelobt. Mit Recht?

Matthias Machnig: Zuerst gab es viel Euphorie um das Paket, doch inzwischen ist Ernüchterung eingetreten, sowohl bei Ökonomen wie bei Unternehmen. Ob etwa die Mehrwertsteuersenkung einen wirklichen Beitrag zum Aufschwung leistet, ist mehr als zweifelhaft, denn es wird vor allem Mitnahmeeffekte geben, zudem ist die Umstellung aufwändig und teuer für die Unternehmen. Trotzdem kostet das Ganze den Staat 20 Milliarden Euro. Das Zukunftspaket ist weder vom Volumen, noch von den Maßnahmen her ausreichend. Wir brauchen mehr industrielle Wertschöpfung und da verfehlen die einzelnen Maßnahmen bisher ihr Ziel. Die Wumms-Rhetorik ist das eine, die ökonomische Realität das andere.

BI: Und was jetzt?

Machnig: Noch ist die Stimmung besser als die tatsächliche Lage. Früher war das oft umgekehrt. Wie tief diese Krise ist, ist bei den Menschen noch nicht wirklich angekommen. Das wird erst im dritten Quartal augenscheinlich, wenn Insolvenzen der Unternehmen zu deutlich steigender Arbeitslosigkeit führen werden. Deshalb brauchen wir im Herbst ein zweites Konjunkturprogramm. Damit müssen wir die öffentlichen und privaten Investitionen stärken. Ohne diese werden wir aus der Krise nicht herauskommen und schon gar nicht die Herausforderungen der Zukunft meistern.

BI: Schon jetzt soll das Paket nach manchen Berechnungen bis zu 180 Milliarden Euro kosten. Sie wollen wirklich noch mehr drauflegen?

Machnig: Ja, der Investitionsbedarf wurde in Deutschland von verschiedenen Forschungsinstituten schon vor der Krise auf bis zu 450 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren geschätzt. Außerdem wird die Transformation die umfassendste seit der industriellen Revolution. Dazu braucht es Investitionen in Digitalisierung, Umweltschutz und Infrastruktur. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn Wahljahre führen häufig zu politischen Attentismus. Es gibt nur ein Zeitfenster und das ist in diesem Herbst.

BI: Was kann ein zweites Paket leisten, was das erste nicht schafft?

Machnig: Die Rahmenbedingungen für private Investitionen müssen verbessert werden. Der Eigenkapitalbedarf der Unternehmen muss unterstützt werden, Markteinführungsinstrumente entwickelt und regulatorische Hürden abgebaut werden. Man muss die unterschiedlichen Bereiche vernetzter denken. Ein Beispiel: Es ist gut, den Einsatz von Wasserstoff in der Stahlherstellung zu fördern, doch erstmals verteuert der sich so auf das Doppelte. Dafür gibt es aber gegenwärtig keinen Markt.

BI: Haben Sie eine Idee?

Machnig: Investitionen in diese Bereiche müssen mit Investitionszulagen unterstützt, Preisdifferenzen ausgeglichen und durch die Regulatorik Nachfrage geschaffen werden. Wenn man den sogenannten grünen Stahl auf die CO2-Flottenziele der Autoindustrie anrechnet, schafft man neue Nachfrage in Deutschlands Schlüsselindustrie. Nur wenn man die unterschiedlichen Bereiche zusammendenkt, öffnet man neue Märkte – und nur so klappt die Transformation der Wirtschaft.

Die Themen, über die Sie sprechen, sind nicht unbedingt die, mit denen sich die SPD-Parteivorsitzenden profilieren. Setzen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die falschen Schwerpunkte?

Machnig: Sie haben sich im Koalitionsausschuss für das Konjunkturpaket stark gemacht und haben dabei sozialdemokratische Themen durchgesetzt. Das war eine gemeinsame  Leistung der beiden Vorsitzenden zusammen mit Olaf Scholz.

BI: Trotzdem sinkt die Zahl der Menschen, die der SPD eine gute Wirtschaftspolitik zutrauen, seit Jahren.

Machnig: Bei der CDU gibt es eine höhere Kompetenzvermutung, die Betonung liegt auf Vermutung. Trotzdem ist auch wahr: Um die Wahlen zu gewinnen, muss die SPD wieder mehr Wirtschaftskompetenz beweisen. Wahlen werden über die Zukunftskompetenz und die entsprechende Vertrauenskompetenz entschieden. Dazu ist ein klares Programm erforderlich, wie Zukunft und Gerechtigkeit miteinander verbunden werden können. Das ist für die Bewältigung der Corona-Krise umso entscheidender.

BI: Sie kommen aus einer Zeit, in der SPD-Chefs noch gern den Umgang mit Autobossen gepflegt haben, unter den neuen Vorsitzenden ist die SPD auf einem strammen Linkskurs. Warum sind Sie als Wirtschaftspolitiker noch dabei, ist das nicht inzwischen ziemlich einsam?

Machnig: Nein, ist es nicht. Ich kann keinen strammen Linkskurs erkennen. Alle Maßnahmen zum Beispiel in der Corona-Krise sind gemeinsam in der Koalition verabschiedet worden. Die SPD muss immer gesprächs- und anschlussfähig sein, mit Unternehmern, Arbeitnehmern und der Zivilgesellschaft. Übrigens kann man zur Autoindustrie stehen wie man will – ihren derzeitigen Ruf hat sich die Branche auch selbst eingebrockt. Dennoch muss man anerkennen, dass es sich um eine Schlüsselindustrie in Deutschland handelt. Hier arbeiten nicht nur Hunderttausende Menschen, die Branche gibt auch 50 Prozent der Gelder für Forschung und Entwicklung aus. Die SPD muss zeigen, dass sie Antworten auf die Herausforderungen der digitalen und nachhaltigen Transformation besitzt und so Wachstum, Beschäftigung und Zukunft sichern kann.

BI: Auch zwischen Gewerkschaften und SPD steht es ja nicht zum Besten, nachdem im Konjunkturpaket keine Prämie für Verbrenner enthalten war. Wie kaputt ist das Verhältnis zu den Gewerkschaften?

Machnig: Die gegenwärtige Debatte betrifft eine einzelne Sachfrage. Dazu gibt es auch im DGB und seinen Einzelgewerkschaften unterschiedliche Auffassungen. Das Auftreten mancher Vertreter der Autobranche war ursächlich dafür, dass es zu keiner Kaufprämie gekommen ist. Ich bin auch für Hilfen für die Autobranche, aber die müssen die notwendige Transformation fördern. Dazu sind insbesondere Hilfen für die Automobilzulieferer erforderlich.

BI: Nochmal fürs Protokoll: Es gibt keine Entfremdung zwischen SPD und Gewerkschaften?

Machnig: Es gibt unterschiedliche Meinungen bei einer Sachfrage zwischen der SPD und einer Einzelgewerkschaft. Das ist alles. Der Rest ist Hype. In vielen anderen Fragen gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung.

BI: Sigmar Gabriel war jemand, der beide Seiten, Autobosse und Gewerkschaften, gleichermaßen bespielen konnte. Braucht die SPD mehr wie Leuten wie Sigmar Gabriel?

Machnig: Es geht nicht um einzelne Personen, Sigmar Gabriel ist aus der Politik ausgestiegen, das war seine freie Entscheidung. Die SPD muss den Dreiklang von Person, Programm und Performance – also dem Erscheinungsbild der Partei – überzeugend darstellen.

BI: Altkanzler Gerhard Schröder hat gerade fünf Sozialdemokraten benannt, die aus seiner Sicht eine besondere Rolle im kommenden Bundestagswahlkampf spielen sollten: Finanzminister Olaf Scholz, Arbeitsminister Hubertus Heil, Familienministerin Franziska Giffey, Fraktionschef Rolf Mützenich und Generalsekretär Lars Klingbeil. Die beiden Parteichefs waren nicht darunter. Wie sehen Sie das?

Machnig: Es ist ganz normal, dass man zuerst an Personen wie Olaf Scholz, Franziska Giffey oder Hubertus Heil denkt, die in Regierungsverantwortung sind. Jetzt ist es die Aufgabe, einen vernünftigen Prozess zu gestalten, wie die SPD zu einem Kandidaten kommt. Das ist eine Aufgabe der Parteivorsitzenden und der gesamten Parteiführung.

BI: Wer sollte für die SPD antreten?

Machnig: Die Fragen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik werden in den nächsten Jahren die politische Agenda in Deutschland ganz wesentlich bestimmen. Das wird auch eine wesentliche Frage im kommenden Bundestagswahlkampf sein. Olaf Scholz hat in den zurückliegenden Jahren gezeigt und jetzt in der Krise bewiesen, dass er über ein hohes Maß an fachlicher und politischer Kompetenz verfügt. Von daher gibt es kaum eine Alternative zu ihm.

BI: Wie sind die Aussichten der SPD?

Machnig: Wir sind heute mehr als ein Jahr von einer Bundestagswahl. Das sind in der Politik Lichtjahre. Für das Wahljahr gibt es zwei wesentliche Unsicherheiten:  Wie reagiert die Bevölkerung darauf, dass Angela Merkel nicht wieder zur Wahl steht? Und was heißt dies für die Wahlpräferenzen? Und  welche Folgewirkungen – ökonomisch und sozial – sind mit der Corona-Krise verbunden und welche Themen und Anforderungen an eine künftige Regierung werden von den Wählerinnen und Wählern erwartet? Die Antwort auf die diese Fragen werden wesentlich für das Ergebnis sein. Eine SPD die ein klares personelles Angebot und ein überzeugendes Zukunftsprogramm hat und geschlossen dafür eintritt, hat dann ihre Chancen und Möglichkeiten.

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