14.09.2022
Gesprächskreis Sicherheit

Mit der russischen Invasion in der Ukraine vollzieht sich auch eine Neubewertung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in der deutschen Öffentlichkeit. Was dies für die Unternehmen bedeutet und was sie von der Politik erwarten, diskutierten Branchenvertreter in einer Digitalkonferenz des Gesprächskreis Sicherheit am 13. September.

Mit der Frage, ob die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie seit Beginn der russischen Invasion Wertschätzung erfahre oder als „Schmuddelkind“ wahrgenommen werde, eröffnete Moderator und Verbandsvizepräsident Matthias Machnig das Gespräch. Für Oliver Burkhard, Mitglied des Vorstands Thyssenkrupp AG und Mitglied des erweiterten Präsidiums des SPD-Wirtschaftsforums, sind durch den russischen Angriffskrieg bisherige Annahmen und Überzeugungen auf den Kopf gestellt worden. Laut Frank Haun, KMW+Nexter Defense Systems N.V. (KNDS), hat sich das Umfeld und der Blick auf die Industrie positiv gewandelt. Auch Jürgen Kerner, Hauptkassierer IG Metall, konstatierte einen Wahrnehmungswechsel in Politik und Gesellschaft. Es setze sich die Erkenntnis durch, dass eine gut ausgestattete Bundeswehr gebraucht würde und dies am besten mit Unternehmen im Land umzusetzen sei.

Das 100 Mrd. Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr war ein Kernthema der Diskussion. Diese Anschubfinanzierung sei bitter nötig, so Frank Haun, es müsse aber zu einer Verstetigung kommen. Dafür reichte das Volumen nicht. Ähnlich bewertete es Oliver Burkhard, der zum Vergleich auf die Friedensdividende Deutschlands seit 1990 verwies. Die 100 Mrd. Euro stellten zwar eine große Summe dar, diese werde aber schnell aufgebraucht sein. Schließlich gehe es um die Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Entscheidend seien aber daneben auch die Verbesserung des Beschaffungswesens und die Kooperation auf europäischer Ebene.

Gerade beim Thema Export sei eine europäische Konsolidierung der Branche dringend erforderlich, stimmten die Gesprächspartner überein. Oft gebe es in Europa dreifache oder sogar vierfache Strukturen. Auch wenn man sich im Vergleich zu den USA weder in Deutschland noch in Europa technologisch zu verstecken brauche, müsse die Beschaffung dringend verbessert werden.

Dass Größe nicht alles, eine Konsolidierung der Industrie aber trotzdem nötig sei, machte Frank Haun deutlich. Die Vielzahl unterschiedlicher Systeme in Europa müsse konsolidiert werden. Die bestehenden Regelwerke verhinderten allerdings eine Europäisierung der Industrie. Dies sei das Haupthemmnis für die Branche, nicht etwa fehlende Innovationskraft oder Finanzierbarkeit. Beides sei vorhanden.

Die Teilnehmer waren sich einig, dass es vorerst gelte, sich auf Europa zu konzentrieren und sich für eine verbesserte Zusammenarbeit in Europa einzusetzen. Gerade bei der Rüstungsexportkontrolle müsse Deutschland auf seine europäischen Partner zugehen. Auf nationale Alleingänge gelte es zu verzichten. Von der Bundesregierung wünschten sich die Diskussionsteilnehmer eine noch aktivere Rolle bei der Europäisierung der Industrie.