• Washington-Reise: Politik, Wirtschaft, Thinktanks

09.05.2023

Der Austausch mit Spitzenvertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft war Programm der viertägigen Delegationsreise des SPD-Wirtschaftsforums in die US-Hauptstadt. Für die 13 köpfige Delegation sah der anspruchsvolle und dichte Kalender Termine mit Botschafterin Emily Haber, dem US State Department, der Weltbank-Gruppe, der EU-Vertretung und der BDI-/DIHK-Vertretung vor. Auch Gespräche mit Thinktanks, Politico und den US-Korrespondenten von Der Spiegel werden geführt.

Das deutsch-amerikanische Verhältnis gilt als besonders eng. Auf beiden Seiten wird großen Wert auf die transatlantische Freundschaft gelegt, wie in den zahlreichen Gesprächen immer wieder deutlich wurde. Deutschland und seine Unternehmen genießen einen hervorragenden Ruf. Die Bundesregierung wird von der US-Administration sehr geschätzt und der Ruf Deutschlands bei den politischen Verantwortlichen in der US-Hauptstadt ist weitaus besser, als manche Diskussion in Berlin vermuten lässt. Als zunehmend schwierig erweisen sich allerdings die Beziehungen zum US-Kongress.

Im Gespräch mit Botschafterin Emily Haber tauschte sich die Delegation über das transatlantische Verhältnis aus. Top-Thema des Gesprächs war – wie zu erwarten – der US Inflation Reduction Act. Mit diesem umfassenden Transformations- und Investitionsprogramm hat die US-Regierung die wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland und Europa durcheinandergewirbelt. Die konkurrenzlos günstigen Energiepreise, verbunden mit unbürokratischen Steuerabschreibungen und einem protektionistischen Design („local content clauses“) bereiten Deutschland und Europa große Sorgen vor einer Abwanderung von Investitionen in die USA. Das Thema dominierte folglich auch die Treffen mit der Vertretung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission sowie der Vertretung von BDI/DIHK und der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Innenpolitische Stoßrichtung des IRA
Alle Gespräche in Washington zeigten, dass die Sorgen aus Europa ernst genommen werden. Klar ist aber auch: Der IRA hat eine v.a. innenpolitische Dimension und Zielsetzung. Eine Reindustrialisierung soll in die Wege geleitet werden und im Zuge dessen sollen neue Industriejobs entstehen. Insbesondere „rote“ und „violette“ Bundesstaaten profitieren, in denen „blue collar workers“ die ehemalige Arbeiterpartei der Demokraten verlassen und sich den Republikanern Trumpscher Prägung zugewendet haben. Auch wenn Belange der WTO oder auch von Bündnispartnern ernst genommen werden, rangieren sie in diesem Zusammenhang doch eher an zweiter Stelle.

Mit dem IRA verfolgen die USA zudem das Ziel, die heimische Produktion und damit die Resilienz in der ganzen Wertschöpfungskette zu stärken und zugleich die Abhängigkeit von China zu verringern. In der Handelspolitik hat sich ein grundlegender Paradigmenwechsel vollzogen. Freihandel ist „not seen as fit for purpose anymore“. Dies ist keinesfalls allein auf die Präsidentschaft von Trump zurückzuführen, auch die Biden-Harris Administration prägt dieser Blick auf die Handelspolitik. Über eine Neuauflage von TTIP sollte man sich deshalb in Berlin keine Illusionen machen. Statt umfassender Freihandelsabkommen stehen sektorspezifische Vereinbarungen im Vordergrund, beispielsweise zum Thema kritische Rohstoffe. Dies wurde in Gesprächen mit Vertretern der US-Administration, aber auch im Austausch mit Thinktanks wie dem Peterson Institute for International Economics deutlich.

Bei einem Besuch der Weltbank und einem Gespräch mit dem Deutschland-Direktor standen globale Investitionen in Infrastrukturen und der makroökonomische Ausblick im Vordergrund. Die Entstehung regionaler Entwicklungsbanken wie der Asian Infrastructure Investment Bank oder der BRICS-Investitionsbank sieht man gelassen – man arbeite eher komplementär zueinander.

Die digital- und technologiepolitischen Entwicklungen in der EU und den USA waren Thema des Besuchs im U.S. Außenministerium. Mit der Einrichtung des EU-US Trade and Technology Councils ist hier ein wichtiges Instrument geschaffen worden, um einen sehr frühzeitigen Austausch über politische Entwicklungen zu etablieren und die regulatorische Stoßrichtung zu koordinieren. Insbesondere auf technischer Ebene werden hier wichtige Standards geschaffen – die politische Ebene des Gremiums kann jedoch aus Sicht des SPD-Wirtschaftsforums noch ausgebaut werden.

Ausblick auf die Präsidentschaftswahlen 2024
Über allen Diskussionen schwebte erwartungsgemäß der Ausblick auf die US-Präsidentschaftswahlen 2024. Bei einer den Demokraten nahestehenden Wahlkampfagentur zeigt man sich sehr zuversichtlich, in einem direkten Duell Biden-Trump bestehen zu können. Sorgen bereiten jedoch Entwicklungen von Drittkandidaten, die sich bereits in US-Bundesstaaten registrieren und einen wahlentscheidenden Einfluss ausüben könnten. Ein ehemaliger, langjähriger republikanischer Kongressabgeordneter (und nun Trump-Gegner) bestätigte, dass dies in einigen Kreisen auch aus Washington, DC, Unterstützung findet.

Eine weitere innenpolitische Entwicklung, die in den kommenden Wochen viel Aufmerksamkeit und Kapazitäten der US-Administration binden wird, ist die anstehende Erreichung der Schuldenobergrenze. Eine Erhöhung der Schuldenobergrenze ist – nach langen und intensiven Kämpfen und Auseinandersetzungen – im US-Kongress üblich. Bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Repräsentantenhaus und der ideologischen Standhaftigkeit einiger der dort vertretenen Akteure kann ein „Unfall“, ein Überschreiten der Schuldenobergrenze vor politischer Einigung, jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die Konsequenzen einer temporären US-Staatspleite für die globalen Finanzmärkte wären katastrophal.

Insgesamt verdeutlichte der intensive Austausch, dass die USA und Deutschland am gleichen Strang ziehen und sowohl in der Klimapolitik, der digitalpolitischen Regulierung als auch in der Aufrechterhaltung der globalen regelbasierten Ordnung die gleichen Ziele verfolgen. Die Instrumente und die Gewichtung der Interessen divergieren in einzelnen Sachfragen – umso wichtiger ist eine umfassende und vertrauensvolle Koordinierung auf beiden Seiten des Atlantiks. Dies wurde auch im Rahmen der Annual German-American Conference deutlich, die von der Atlantik-Brücke und des American Council on Germany ausgerichtet wird und zu der die Delegation des SPD-Wirtschaftsforums eingeladen war.

Der transatlantische Dialog sollte weiter gestärkt werden, zum besseren gegenseitigen Verständnis und zur Erreichung der gemeinsamen Ziele. Das Wirtschaftsforum der SPD e.V. leistet hier einen Beitrag, um die unternehmerische Perspektive einzubringen.