Vor bald 30 Jahren wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeführt. Was die Einhaltung der Maastrichter Verschuldungskriterien durch die EU-Mitgliedstaaten angeht, ist die Bilanz seitdem durchwachsen ausgefallen. Das ist einer der Gründe, warum die Europäische Kommission im Oktober 2021 eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts angeregt und die Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament zu einem Diskussionsprozess eingeladen hat. Welche Herausforderungen sich bei einer solchen Reform stellen, war Thema einer Digitalkonferenz des SPD-Wirtschaftsforums am 23. Juni.
Im Gespräch mit Matthias Machnig, Vizepräsident des Wirtschaftsforums, tauschten sich Reinhard Felke, Direktor der DG ECFIN, Europäische Kommission, und Philippa Sigl-Glöckner, Geschäftsführerin, Dezernat Zukunft, darüber aus, wie eine fiskalische Konsolidierung in Einklang gebracht werden kann mit einer aktiven Investitions- und Industriepolitik, die den Anforderungen an Dekarbonisierung und Digitalisierung gerecht werden muss.
So stellt sich aus Sicht von Reinhard Felke die Frage, was zentrale Punkte zur Orientierung für die Weiterentwicklung des Rahmenwerks sind: „Wir brauchen ein Rahmenwerk, das angesichts der hohen Unsicherheiten robust ist, aber eben auch ausreichend schnell Antworten liefern kann auf unvorhergesehene Entwicklungen. Die langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Haushalte bleibt entscheidend. Auch klar ist, dass die Transformation unserer Volkswirtschaft zu einer karbonfreien Volkswirtschaft beschleunigt vorangehen muss und die Investitionen weiterhin einen wichtigen Stellenwert in den Überlegungen haben. Wir müssen zudem der neuen geopolitischen Situation Rechnung tragen.“
Philippa Sigl-Glöckner bringt drei zentrale Vorschläge in die Debatte um eine Reform der Fiskalregeln ein. Zunächst fordert sie eine Überarbeitung der Potenzialschätzung. Die Potenzialschätzung geht in die Berechnung des strukturellen Defizits ein und bestimmt, bis zu welcher Auslastung Staaten ihre Wirtschaft fiskalpolitisch unterstützen dürfen. Um eine permanente Unterauslastung zu vermeiden, sollte die Potenzialschätzung zumindest annähernd das tatsächliche Potenzial der Wirtschaft erfassen. Ferner schlägt Sigl-Glöckner eine stärkere Berücksichtigung des Primärdefizits vor. Schließlich fordert Sigl-Glöckner: „Es sollte politisch Klarheit darüber geschaffen werden, wann Staatsfinanzen gut sind, damit die EZB nach ihrem Mandat handeln kann und sich weniger in politisch schwierigem Fahrwasser bewegt.“