• Prof. Dr. Friederike Welter und Esra Limbacher zu den Herausforderungen der Mittelstandspolitik.

23.11.2022
Mittelstand

Angesichts von Pandemie, Energiekrise und Krieg in der Ukraine von Multikrisen zu sprechen, ist keine Übertreibung. Dass diese Situation gerade mittelständische Unternehmen unter einem enormen Druck setzt, verdeutlichte erneut eine digitale Arbeitssitzung des SPD-Wirtschaftsforums am Dienstag. Diskutiert wurde die aktuelle Studie des Verbands „Zukunft Mittelstand“, welche die größten Hemmnisse für mittelständische Unternehmen identifiziert und eine eigene Mittelstandsagenda präsentiert. Was die Politik zur Entlastung der Unternehmen beitragen kann und welche Anforderungen eine umsichtige und langfristig orientierte Mittelstandspolitik erfüllen muss, diskutierten Esra Limbacher, Mittelstandsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion, und Prof. Dr. Friederike Welter, Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn.  Vizepräsidentin Prof. Dr. Susanne Knorre moderierte das Gespräch.

Der Mittelstand leide vor allem unter strukturellen Problemen, wie Bürokratie, dem branchenübergreifenden Fachkräftemangel sowie Defiziten in der digitalen und der Verkehrsinfrastruktur, stellte Knorre einleitend die Bestandsaufnahme der Mittelstandsstudie vor. Dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft setzten die aufeinanderfolgenden Krisen verstärkt zu. Schien man gerade die Folgen der Pandemie einigermaßen überwunden zu haben, folgten mit Wucht Energiekrise und Inflation. Man schlittere in eine multiple Krise, die für viele existenzbedrohend sei, so Knorre.

Mit welchen Maßnahmen Politik reagieren kann und wie eine auf den Mittelstand zugeschnittene Politik aussehen kann, führte Esra Limbacher aus. Der Mittelstand stelle mehr als 80 Prozent der Ausbildungsplätze in Deutschland bereit. „Das bedeutet, dass die zu erlernenden Berufe ohne den Mittelstand gar nicht mehr funktionieren würden“, so Limbacher. Zudem stelle der Mittelstand mindestes 60 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland. Den beeindruckenden Zahlen zum Trotz habe die mittelständische Wirtschaft nicht immer das angemessene Gewicht in der politischen Diskussion. Er ging auf die dringend nötigen kurzfristigen Hilfen und Entlastungsmaßnahmen der Regierung ein, die den Unternehmen über diesen Winter helfen würden, damit man im kommenden Jahr überhaupt noch über langfristige Ziele für die Betriebe reden könne. Gleichzeitig mahnte Limbacher, dass Mittelstandspolitik nicht davon geprägt sein dürfe, sich nur noch über Rettungs- und Hilfsprogramme zu unterhalten. Vielmehr müsse sich die Politik an der Frage orientieren, wie das Umfeld für die mittelständische Wirtschaft so attraktiv gehalten werden kann, dass aktuell funktionierende Geschäftsmodelle auch in Zukunft fortgeführt werden können.

Vielfalt des Mittelstands erhalten – Hemmschuh Bürokratie
Prof. Dr. Friederike Welter ging auf die große Bedeutung des Mittelstands für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland ein. Gerade in der Corona-Krise haben man gesehen, wie sehr kleine und mittelständische Unternehmen nötig seien. „Wir wissen, dass diese Unternehmen eine Langfristorientierung haben und daran interessiert sind, Beschäftigung zu halten, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu halten. Sie haben auch eine gewisse soziale und ökologische Orientierung.“ Der Mittelstand sei deshalb nicht nur für die ökonomische, sondern auch die gesellschaftliche Entwicklung wichtig. Zudem zeichne sich der Mittelstand durch Vielfalt aus. „Diese Vielfalt zu erhalten, sollte ein Grundthema der Mittelstandspolitik sein“, appellierte Friederike Welter. Ihr zufolge bedingt eine zukunftsorientierte Mittelstandspolitik, dass ein Rahmen so gestaltet wird, dass der Mittelstand seine Stärken – in seiner Vielfalt und all seinen Größen – ausspielen kann. Denn Mittelstandsunternehmen seien eben keine kleinen Großunternehmen, sondern hätten ihre Berechtigung vielmehr so, wie sie sind, unabhängig von der Zahl der Beschäftigten.

Mit Blick auf punktuelle Interventionsmaßnahmen gab Welter zu bedenken, dass diese Gefahr liefen, zu markt- und Wettbewerbsverzerrungen zu führen. Allerdings seien punktuelle Maßnahmen zur Stützung der mittelständischen Wirtschaft in der derzeitigen Krise bzw. den derzeitigen Multikrisen unumgänglich. Unter Umständen müssten diese mit Härtefallfonds aufgestockt werden. Hier machte Welter einen Zwiespalt aus, von dem die Mittelstandspolitik der vergangenen Jahre gelebt habe. Auf der einen Seite müssten langfristig die Rahmenbedingungen für die digitale und grüne Transformation gestaltet werden, die es zügig anzugehen gelte. Auf der anderen Seite seien die vielfältigen Krisen ein Katalysator dafür, eben diese Transformation anzustoßen. Hinzu komme, dass die Politik immer wieder kurzfristig sehen müsse, wo auszugleichen sei und wo Angebote zu schaffen seien. „Die Herausforderung für die Mittelstandspolitik ist es, die richtige Balance zu finden. Ein ganz wichtiges Element, das Mittelstandspolitik ausmacht, ist, dass es sich nicht um eine Politik handelt, die nur im Wirtschaftsministerium anzusiedeln ist, sondern es im Grunde genommen um eine ressortübergreifende Politik geht. Das macht es für diejenigen, die Politik umsetzen, sehr schwierig“, sagte Welter. Die Herausforderung Bürokratieabbau, die sie beispielhaft nannte, müsste deshalb auch nicht nur in einem, sondern in allen betroffenen Ressorts angegangen werden.

Wie sehr Bürokratie oder ggf. auch Bürokratiewahrnehmung den Mittelstand belaste, unterstrich auch Susanne Knorre. Dies sei von vielen Befragten der Mittelstandsstudie als ein vorrangiges Thema genannt worden. Als ähnlich virulent sei der Fachkräftemangel erachtet worden. Dem Thema werde man sich gezielt in einer Folgeveranstaltung widmen.