- Sind Markteingriffe zu rechtfertigen?
- Beihilferechtliche Fragen müssen geklärt werden
- Geschwindigkeit bei LNG-Terminals soll Vorbild für alle Energiebereiche sein
Wie sich Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas krisenfest reduzieren lässt, war das zentrale Thema einer Paneldiskussion mit Staatssekretär Dr. Jörg Kukies und Prof. Dr. Klaus-Dieter Maubach, CEO, Uniper SE, sowie weiteren Energieexperten am Mittwoch in Berlin. Der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien wurde ebenso angemahnt wie die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in allen energierelevanten Bereichen. Vertreter von Energieunternehmen sprachen sich angesichts der aktuellen Krise mehrheitlich für Markteingriffe aus. Von einer „all-electric-Strategie“ wurde abgeraten.
Die Veranstaltung des SPD-Wirtschaftsforums stand unter dem Titel: „Wo kommt 2030 die Energie her – und morgen?“ In ihrer Einleitung mahnte die Präsidentin des Wirtschaftsforums der SPD e. V., Prof. Dr. Ines Zenke, an, dass alle Potenziale auszunutzen seien, wenn man die Energiesouveränität zurückerlangen wolle. Das Wirtschaftsforum habe sich klar zur Aussage der Bundesregierung „Whatever it takes“ bekannt. Sie wies aber auch darauf hin, dass neben die notwendigen Entlastungen auch strukturelle und strategische Überlegungen treten müssen, um die Gefahren von Insolvenzen und erstickenden Energiepreisen langfristig erfolgreich zu meistern.
Unerwünschte Wechselwirkungen durch „Preis-caps“
In seiner Keynote nahm Dr. Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, diesen Faden auf und kündigte mit Blick auf den Europäischen Rat an, dass die Bundesregierung beabsichtige, den Impuls der Kommission zur Kontrolle des Gaspreises aufzunehmen. Viele der Kommissionsvorschläge seien gut, etwa der, eine wirksame Bremse einzuführen. Auch würden richtige Anreize zum Sparen ab der ersten Kilowattstunde gegeben. Es sei Konsens, dass eine Deindustrialisierung in Europa verhindert werden müsse. Das gelte umso drängender, da in einigen Bereichen, etwa bei Zink und Stahl, bereits Verlagerungen von Unternehmen in andere Weltregionen zu beobachten seien. Bei der Frage nach Marktinterventionen war Kukies kritisch und warnte, dass diese kontraproduktiv sein und Substitutionseffekte nach sich ziehen könnten. Maßnahmen zur Begrenzung der Preisentwicklung („Preis-caps“) könnten falsche Anreize schaffen und eine nicht-gewünschte Wechselwirkung erzeugen. So ließe sich ein höherer Energieverbrauch in Ländern mit Preis-Caps beobachten als in Ländern, die ohne Regulierung auskommen.
Dagegen sah Kukies deutlich mehr Potenzial beim gemeinsamen europäischen Auf- und Ausbau der Energieinfrastruktur. Hier sei entscheidend, dass die europäische Interkonnektivität für Gas und Strom bereitgestellt würde. Dann könnte Europa es sogar schaffen, im Wettbewerb mit den USA gut abzuschneiden. Zudem müsse der Wasserstoffausbau viel stärker vorangetrieben werden. In Deutschland gebe es enormes Know-how zu wasserstoffbereiten Kraftwerken. Die sogenannte „H2-Readiness“ sei kein theoretisches Thema mehr, sondern bereits ganz konkret. Wichtig sei es, Planungszeiten zu halbieren. Hierzu leiste auch das „Osterpaket“ der Bundesregierung einen entscheidenden Beitrag, indem es die Erneuerbaren Energien als von überragendem öffentlichem Interesse einordnet. Dies erleichtere maßgeblich die Planungsbeschleunigung, die eine Herzensangelegenheit des Bundeskanzlers sowie des ganzen Kabinetts sei. Da sich viele Investoren aus dem Privatsektor engagieren wollten, müsse es auch einen Anreiz für privates Engagement geben.
Prof. Dr. Klaus-Dieter Maubach, CEO der Uniper SE, verwies auf die USA, die das weltweit attraktivste Förderprogramm für Wasserstoff böten und damit international Investitionen anziehen würden. Hier käme Deutschland und der EU die Aufgabe zu, den Hochlauf beim Wasserstoff zu unterstützen, so dass die Investitionen hier stattfinden könnten.
Breiter gesellschaftlicher Konsens beim Ziel Dekarbonisierung
Laut Konrad Stockmeier, FDP-Bundestagsabgeordneter und u.a. Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, ist es entscheidend, dass die Koalition das größte Paket zum Ausbau der Erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht hat. Dass über die Methoden gerungen würde, sei verständlich, entscheidend aber sei, dass das übergeordnete Ziel der Dekarbonisierung nicht in Frage gestellt würde. Hierüber herrsche zum Glück ein sehr breiter gesellschaftlicher Konsens. Damit sei auch die Marschrichtung klar. In der jetzigen Situation gelte es aber zu trennen zwischen der unmittelbaren Reaktion auf die akute Krise einerseits und andererseits dem Rahmen, den die Regierung vorgebe, um die Energiewende umzusetzen. Neben dem Bereitstellen von Strom- und Gaskapazitäten, seien auch Energiesparen und Energieeffizienz enorm wichtig. In Deutschland gebe es bereits viele Energieeffizienz-Lösungen von Mittelständlern und Startups, die sich auch mit Hilfe digitaler Steuerung sehr attraktiv entwickeln könnten. Insgesamt müssten Verfahren verschlankt und beschleunigt werden, etwa indem Projektarbeit implementiert würde, die bestimmte Verfahrensschritte überflüssig mache. Mehr privates Kapital müsse eingebracht und die Eigentümerschaft verbreitert werden.
Torsten Maus, Vorsitzender der Geschäftsführung der EWE NETZ GmbH, zeigt sich angesichts der aktuellen äußerst ernsten Situation offen für temporäre Markteingriffe. Diese müssten allerdings so zielgerichtet ausgestaltet sein, dass unbeabsichtigte negative Effekte für betroffene Unternehmen ausgeschlossen seien. Insbesondere sei wichtig, dass die Investitionstätigkeit der Unternehmen in die Energiewende nicht nachhaltig beeinträchtigt werden. Mit Blick auf die künftige Wärmeversorgung riet er von einem starren Fokus auf Strom ab. Eine reine Stromwelt habe gegenüber einem gesamtheitlichen Ansatz, der bestehende Potenziale einbezieht, keine Vorteile. Maus betonte, dass beim Umbau der Energieversorgung eben nicht nur neue Erzeugungssysteme zum Einsatz kommen müssten. Es gehe insbesondere auch um den Transport. Energienetze in Deutschland seien nach wie vor vergleichsweise ausfallsicher, würden heute zum Teil aber schon „auf Kante“ gefahren. Der regulatorische Rahmen müsse die erforderliche weitere Digitalisierung stärker berücksichtigen.
Beschleunigte Verfahren – auch auf kommunaler Ebene
Von einer “gigantischen Herausforderung” sprach Christian Heine, Sprecher der Geschäftsführung, Hamburger Energiewerke GmbH und Co-Leiter des Fachforums „Energie und Klima“ im SPD-Wirtschaftsforum. Der Kohleausstieg bedeute, dass innerhalb von sieben Jahren enorme Kapazitäten aufgebaut werden müssten. Die Geschwindigkeit, die sich dank des LNG-Beschleunigungsgesetzes erreichen ließe, sei das eine. Demgegenüber stünden die langen Genehmigungsverfahren in den Kommunen, die eine Umsetzung bis 2030 zweifelhaft erscheinen ließen. Zum Thema Markteingriff sagte Heine, dass der Markt die DNA Europas sei, aber das eine oder andere beihilferechtliche Thema beiseitegeschoben werden müsse. Er blicke mit Sorge auf die kommenden zwei Jahre und frage sich, wie krisenfest unsere Demokratie ist. Hier habe die Regierung mit ihrem Entlastungspaket gut reagiert, denn die hohen Preise stellten eine enorme Belastung für die Haushalte dar.
Prof. Dr. Ines Zenke, die das Panel moderierte, skizzierte Handlungsmöglichkeiten und mahnte, schnell zu handeln. Man sehe bereits, dass sich bei den Preisen für Strom und Gas eine Menge tun ließe. Hier solle man nicht ideologisch argumentieren. Aus ihrer Sicht müssten die Themen Biomasse und Biogas, die in Europa sehr restriktiv diskutiert würden, viel stärker angegangen werden. Mit dem Abwehrschirm habe die Regierung Spielraum geschaffen, um reagieren zu können. Jetzt müsse man aber auch in die Umsetzung kommen, etwa bei einem kurz- und langfristigen Industriestrompreis, bei dem es um Entlastung und Abschöpfung ginge. Bei der Frage zu beschleunigender Genehmigungsverfahren machte sie limitierende Faktoren in den Genehmigungsbehörden aus. Zum Teil seien bis zu 20 Fachbehörden eingebunden. Wenn eine Stelle zu langsam sei, bestimme sie das Tempo des ganzen Prozesses. Hier gelte es, eine zentrale Stelle zu ertüchtigen, deren Gewicht letztlich entscheide.