Wiederaufbau der Ukraine: Svenja Schulze betont Rolle des Mittelstands
Mit Strategien für den Wiederaufbau und die Transformation der Ukraine hat sich heute eine Konferenz des SPD-Wirtschaftsforums in Berlin befasst. In ihrer Keynote appellierte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze an Wirtschaft und Politik, jetzt und nicht erst nach Ende des Krieges die Weichen für den Wiederaufbau der Ukraine zu stellen. Parallel zur Veranstaltung veröffentlichte das Wirtschaftsforum ein Positionspapier zu Instrumenten und Sektoren der Kooperation. Darin werden zügig sektorale Roadmaps und eine Herausnahme der Finanzierung aus dem Bundeshaushalt.
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze verdeutlichte in ihrer Eröffnungsrede, dass sich die Ukraine permanent im Wiederaufbau befinde. Deshalb sei es für die internationalen Partner so wichtig, nicht auf einen Zeitpunkt in der Zukunft zu warten, sondern sich jetzt auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes vorzubereiten. Für die Politik skizzierte Svenja Schulze vier Schwerpunkte: den wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Ausbildung und Förderung von Fachkräften, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie die Stärkung der kommunalen Ebene. Mit Blick auf wirtschaftliche Stärken hob sie insbesondere die starke IT-Branche des Landes hervor. Hier gebe es viel Entwicklungspotenzial und Anknüpfungsmöglichkeiten.
Außerdem müsse der menschliche Faktor noch stärker berücksichtigt werden. Fachkräfte müssten gezielt ausgebildet und weiterentwickelt werden. Das gelte sowohl mit Blick auf die Arbeitskräfte in der Ukraine als auch in Deutschland. Sie verwies auf die gezielte Förderung und Qualifizierung von Frauen, die einen Großteil der Arbeitskraft stellten, da vor allem Männer an der Front seien. Schließlich stellte sie den enormen Stellenwert des Mittelstandes für Ukraines Wirtschaftsleistung und Beschäftigung dar. Gerade in diesem Bereich böten sich zudem für deutsche und internationale Partner gute Anknüpfungspunkte. Die Ministerin verwies schließlich auf den Business Development Fund, der sich an der KfW orientiere und der Nukleus für die Finanzierung des Wiederaufbaus werden könne. Damit sei es schon bisher gelungen, 40.000 Klein- und Kleinstunternehmen mit günstigen Krediten am Markt zu halten. „Wir haben eine Generationenaufgabe vor uns“, appellierte Schulze. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass auf der am 11. und 12. Juni in Berlin stattfindenden Ukraine Recovery Conference zusammen mit der privaten Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft weitere Schritte für den Wiederaufbau der Ukraine gegangen würden.
In dem anschließenden Q&A mit der Ministerin verwies Heiko Kretschmer, Schatzmeister des SPD-Wirtschaftsforums Verbands, auf ein aktuelles Positionspapier des Verbands. Es betont die Notwendigkeit sektoraler Roadmaps, nachhaltiger Finanzierungsmechanismen außerhalb des Bundeshaushalts und einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland, der EU und der Ukraine. Die Förderung des Privatsektors, der Technologietransfer und der Abbau von bürokratischen Hürden sind dabei zentrale Elemente, um die Ukraine langfristig zu stabilisieren und in die europäische Gemeinschaft zu integrieren.
Kretschmer hob hervor, dass die Finanzierung der Ukraine nicht aus dem Bundeshaushalt sichergestellt werden dürfe, sondern durch ein Sondervermögen und einen revolvierenden Marshall-Fonds nach dem Vorbild des ERP-Sondervermögens. Dies würde die dauerhafte Unterstützung und Planungssicherheit für den Wiederaufbau und die Transformation gewährleisten.
Das Papier stellt zudem die große Bedeutung von Partnerschaften und Knowhow-Transfer zwischen deutschen und ukrainischen Unternehmen heraus. So lautet ein Vorschlag, hochqualifizierte ukrainische Fachkräfte in Deutschland auszubilden und ein starkes Netzwerk zu schaffen. Weiterhin sollen Technologietransfer und Co-Investments die Modernisierung ukrainischer Produktionsprozesse fördern. Zudem wird die Öffnung der EU-Märkte für ukrainische Produkte und die Stärkung von Lieferketten als wichtige Elemente zur Unterstützung der Ukraine genannt.
Auch die Einbindung des Privatsektors ist ein zentraler Punkt des Papiers. Eine verbesserte Finanzierung und bessere Investitionsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen werden vorgeschlagen. Zudem soll der „Business Development Fund“ [Link] zu einer soliden Entwicklungs-Finanzierungsinstitution weiterentwickelt werden. Zur Risikoabsicherung privater Investitionen sollen bestehende Instrumente wie Exportkreditgarantien erweitert und verbessert werden.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Vereinfachung von Logistik- und Lieferketten sowie dem Abbau bürokratischer Hürden. Dies soll den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine erleichtern und beschleunigen.
Die langfristige Perspektive sieht eine vollständige Integration der Ukraine in die EU vor. Dies erfordere eine kontinuierliche und verlässliche Unterstützung, die über jährliche Haushaltsentscheidungen hinausgeht, betonte Kretschmer. Das SPD-Wirtschaftsforum fordert, dass Deutschland eine führende Rolle übernehmen und durch die Schaffung stabiler Finanzierungsrahmen eine nachhaltige Partnerschaft mit der Ukraine sicherstellen soll.
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging Oliver Gierlichs, SBR & CFO Ukraine, Bayer AG, Präsident, AHK Ukraine, auf die Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft ein, die Zuwächse verzeichne. Das gelte auch in den für die Bayer AG wichtigen Sektoren Crop Science und Pharma. Vitalii Ostapchuk, Senior Project and Business Development Manager SCHNEIDER GROUP Kyiv, nannte den Wiederaufbau ein langfristiges Projekt, das sich für die Unternehmen und die Politik lohne. Denn es werde in ein künftiges Mitglied der EU investiert. Er nannte neben Energie, erneuerbaren Energie, Infrastruktur auch Landwirtschaft und die Sicherheitsbranche als besonders relevante Sektoren für Investitionen.
Dr. Florian Otto, Partner, Control Risks Group, appellierte, aus dem Reden ins Handeln zu kommen. Es stelle sich die Frage, wie sich für Unternehmen, die hohe Schwelle, einen Schritt in das Land zu machen, überwinden lasse. Sie müssten jetzt die Chancen verstehen, die in der Zukunft lägen. Er verwies darauf, dass es nicht die „eine Ukraine“, nicht die „eine ukrainische Wirtschaft“ gebe, sondern viele Regionen und unterschiedliche Sektoren und Stärken. Er empfahl Unternehmen, sich bei Vorliegen eines Business Case die Situation genauer anzusehen und sich der Komplexität der Situation zu öffnen. Die Ukraine sei ein Paradebeispiel dafür, Chancen in verschiedenen Szenarien zu betrachten und zu planen. Für diese Chancen müsse jetzt die Grundlage gelegt werden.
Auf die Resilienz der ukrainischen Wirtschaft ging Robert Kirchner ein, Stellv. Projektleiter, German Economic Team (GET). Er forderte, Projekte und Sektoren zu priorisieren und insbesondere den ukrainischen Privatsektor ins Zentrum der Kooperationen zu stellen. Gerade dessen Widerstandskraft müsse gestärkt werden.
Einen Einblick in die Herausforderungen bei der Finanzierung gab Phillip Lang, Associate, Bundesverband deutscher Banken e.V. Während für kurzfristige Handelsfinanzierung die richtigen Instrumente, z. B. die der EBRD, zur Verfügung stünden, stelle sich die Exportfinanzierung als deutlich schwieriger dar. Ähnlich wie bereits in Großbritannien und Dänemark der Fall, sollte es für ein besseres Risikomanagement auch in Deutschland eine Deckung von 100 statt der aktuell 95 Prozent geben.
Auf bewährte Strukturen, etwa bei Lieferpartnerschaften, wies Stefan Kägebein, Referatsleiter Ost- und Südosteuropa, DIHK, hin. Es gebe zahlreiche Unternehmen in der Ukraine, die seit Beginn des Krieges immer lieferfähig geblieben sind. Gerade auf diese bewährten Strukturen, z. B. in Form von Lieferpartnerschaften, solle man setzen und nicht nur auf Investitionen. Das schaffe Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
Zum Positionspapier Unterstützung der Ukraine verstetigen statt Solidarität nach jährlicher Haushaltslage.