21.11.2022
  • Beschäftigte erwägen laut Civey-Umfrage „Längerarbeit“
  • Recruiter/innen offen für Beschäftigung Älterer, auch über das Renteneintrittsalter hinaus

Der Fachkräftemangel stellt aktuell das größte Problem der deutschen Arbeitsmarktpolitik dar. Es fehlt in nahezu allen Branchen an Arbeits- und Fachkräften. Eine insgesamt schwierige wirtschaftliche Gesamtlage und die in vielen Bereichen zu leistende Transformation erschwert zudem die Herausforderungen. Dass eine schnelle Maßnahme zum Abbau des Fachkräftemangels bereitsteht, verdeutlichen jetzt die Ergebnisse einer Civey-Umfrage, der zufolge sich eine Mehrheit der Befragten für „freiwillige Längerarbeit“ ausspricht. Umgekehrt erwägen auch Personalverantwortliche die Weiter- oder sogar Neubeschäftigung von älteren Berufstätigen über das Renteneintrittsalter hinaus. Mit dieser Maßnahme und weiteren Lösungsvorschlägen befasst sich ein aktuelles Positionspapier des Wirtschaftsforums der SPD.

In der repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey gaben knapp 60 Prozent der befragten Erwerbstätigen an, die 50 Jahre oder älter sind, dass sie sich vorstellen können, im Rentenalter länger zu arbeiten, davon gut 20 Prozent in Vollzeit oder fast in Vollzeit. 20 Prozent können sich immerhin noch eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden vorstellen. Weitere knapp 20 Prozent können sich geringere Teilzeitarbeitsverhältnisse vorstellen. Auch umgekehrt trifft der Gedanke, ältere Menschen weiter in Beschäftigung zu halten, auf Zustimmung in Unternehmen. Zwei Drittel der Personalverantwortlichen gaben an, gerne ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. 45 Prozent können sich sogar vorstellen, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neu zu rekrutieren. Civey hatte im Auftrag des Wirtschaftsforums der SPD 10.000 Personen befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für Erwerbstätige sowie Personalverantwortliche der Privatwirtschaft, die Personalentscheidungen treffen.

Heiko Kretschmer, Schatzmeister des SPD-Wirtschaftsforums, nannte die Umfrage-Ergebnisse Beleg einer 180-Grad-Wende: „Die Deutlichkeit, mit der ältere Beschäftigte ihre Bereitschaft signalisieren, freiwillig eine längere Beschäftigung über das Erreichen der Altersgrenze hinaus zu erwägen, überrascht. Es erstaunt auch, wie viele Personalverantwortliche die Einstellung Älterer ernsthaft in Betracht ziehen. Das ist Ausdruck der Wertschätzung älterer Berufstätiger und ihrer langjährigen Berufserfahrung, und es bedeutet eine Abkehr vom Prinzip der Jugendorientierung im Arbeitsleben. Die Ergebnisse zeigen aber auch, wie stark der Druck auf Unternehmen ist, geeignete Fachkräfte zu finden. Angesichts ihrer schnellen Umsetzbarkeit ist die Maßnahme der freiwilligen Längerarbeit das kurzfristig effektivste Mittel, Fachkräfte im Arbeitsleben zu halten. Sie kann jedoch nur eine Option zur Linderung des Fachkräftemangels darstellen. Daneben gilt es vor allem, mittel- und langfristig wirkende Maßnahmen umzusetzen: in der Bildung, bei der Erhöhung der Frauenerwerbsquote, der Fachkräftezuwanderung und der Digitalisierung. Nur mit einem umfassenden Maßnahmenbündel und flankierenden Investitionen kann Deutschland die große Herausforderung erfolgreich meistern.“

Das Positionspapier identifiziert zehn Bereiche, in denen Handlungsbedarf besteht, und quantifiziert den aktuellen Fachkräftemangel. Dabei fokussiert das Papier nicht ausschließlich auf die Arbeitsmarktlage in akademischen und hochqualifizierten Tätigkeiten, sondern auf die drei Dimensionen des Fachkräftemangels: „white-collar-worker“ (Hochtechnologie-Berufe und akademisch Hochqualifizierte), „blue-collar-worker“ (Facharbeiterinnen und Facharbeiter, Handwerkerinnen und Handwerker, beruflich Qualifizierte) und „grey-collar-worker“ (Ungelernte und Hilfskräfte). Weiterhin betrachtet das Papier administrative Herausforderungen und betriebliche Anforderungen, und es präsentiert politische Optionen sowie geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Handlungsbedarf wird insbesondere bei der Bildung gesehen, auch wenn sich Erfolge erst mittel- bis langfristig zeigen. Damit das Bildungsniveau insgesamt wächst, sind erheblich mehr Investitionen über die ganze Breite der Institutionen und (Aus-)Bildungswege erforderlich. Deutschland ist weiterhin dringend auf Fachkräftezuwanderung angewiesen – in sehr viel größerem Umfang, als dies bisher erfolgt ist. Dazu trägt die verbesserte Anerkennung von im Ausland erworbener Berufsabschlüsse ebenso wie die Beschleunigung der Anerkennungsverfahren bei. Der Familiennachzug bei Fachkräften und deren Integration muss stärker berücksichtigt und die sprachliche Integration deutlich intensiviert werden. Dem Dauerthema Digitalisierung kommt auch beim Fachkräftemangel eine wichtige Rolle zu. Digitalisierung kann den Fachkräftemangel entschärfen, weil sie den Arbeitskräftebedarf insgesamt entschärft. Dies erfordert allerdings entsprechende IT-Fachkräfte. Ebenfalls großen Handlungsbedarf sieht das Papier bei der Frauenerwerbsquote. Hier kommt dem Ausbau der sozialen Infrastruktur, etwa Kitas, eine wichtige Rolle zu. Mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeitmodelle leisten ebenfalls wesentliche Beiträge zur Erwerbstätigkeit von Frauen. Als Hindernis hat sich dagegen das Ehegattensplitting erwiesen, das deshalb abgeschafft werden sollte. Gender-Pay- und Gender-Care-Gap gilt es auch im Sinne der Fachkräftegewinnung weiter zu reduzieren.

Das Positionspapier ist hier abrufbar.