• Zwei Jahre IRA in den USA

22.08.2024

400 Mrd. US-Dollar – so hoch ist allein das Volumen des Inflation Reduction Act in den USA. Neben dem IRA hat die Biden-Administration Investitionen im Gesamtvolumen von 2.000 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre auf den Weg gebracht. Was wurde bereits ereicht, welche Effekte sind künftig zu erwarten und wie sollten Deutschland und Europa damit umgehen? Thema der Diskussion unserer Digitalkonferenz mit Prof. Dr. Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI und Matthias Machnig, Vizepräsident des Wirtschaftsforums der SPD e.V.

Prof. Dr. Sebastian Dullien ordnete den IRA mit aktuellen IMK-Studienergebnissen ein. „Gut fürs Klima, schlecht für Europa“: Der IRA sei weniger ein Maßnahmenpaket, welches die Inflation adressiere, sondern vor allem ein massives Dekarbonisierungsprogramm, um die US-amerikanische Wirtschaft nach der Corona-Pandemie wiederaufzubauen. Durch Steuergutschriften für Erneuerbare Energien und Wasserstoff, die teilweise mit „local content requirements“ zur Produktion in den USA verknüpft sind, würde die Dekarbonisierung de facto subventioniert.

Für Europa seien dabei vor allem die Auswirkungen auf die Batteriezellenproduktion von Bedeutung. In Verbindung mit den „local content requirements“ würde die Produktion in den USA verglichen zu anderen Standorten, und damit auch Europa, attraktiver. Mit Blick auf die deutsche Automobilindustrie könnten Hersteller erwägen, die Produktion in die USA zu verlegen – und die USA könnten damit zum Netto-Exporteur von Batterien werden.

Eine abschließende Bewertung des IRA sei zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht möglich. Viele Planungsprozesse würden erst in den kommenden fünf Jahren Wirkung entfalten. Es habe sich gezeigt, dass Genehmigungsprozesse auch in den USA langwierig sind und die Digitalisierung in der Verwaltung an vielen Stellen ebenfalls noch stockt, so Dullien. Erste Tendenzen seien aber erkennbar: Ein spürbarer Anstieg der Produktion erneuerbarer Energien, der bei PV-Anlagen stärker ausfalle als bei der Windproduktion, und ein deutlicher Kapazitätsausbau bei den Batteriespeichern. Schätzungen gehen von einem Rückgang der Stromkosten von 5 bis 6 Prozent aus.

Bedeutsam sind für Europa die Skaleneffekte, die die Batteriezellenproduktion auslöst. Sollte Europa den Anschluss verlieren, könnten Teile der Wertschöpfungskette dauerhaft verloren gehen, so Prof. Dr. Sebastian Dullien. Der IRA hat hier einen deutlichen Anschub angestoßen und wird die Energiepreise in den USA bis in die Mitte der 30er-Jahre senken. Darauf fehle in Deutschland und Europa bislang eine industriepolitische Antwort.

Ist der IRA also eine Blaupause für Europa? Holger Lösch verwies auf die unterschiedliche Finanzierungsgrundlage. Da die EU selbst keine Steuern erheben kann, sei ein Modell mit Steuergutschriften nicht direkt übertragbar. Grundsätzlich sei zu befürworten, dass die USA ein Instrument gefunden haben, grüne Technologien voranzubringen. Zugleich handle es sich nicht nur um ein wirtschaftliches Investitionsprogramm, sondern auch um ein strategisches Instrument – im eigenen Land durch Investitionen in besonders strukturschwache, republikanisch dominierte Gebiete sowie gleichzeitig im Handelskonflikt mit China.

Steht nun eine Abwanderungswelle bevor oder ist diese bereits im Gange? Holger Lösch zufolge gibt es dafür derzeit keine Anzeichen. Für einzelne Branchen könnte es mittelfristig aber durchaus interessanter werden, verstärkt in den USA zu investieren. Letztlich gehe es um die Vorherrschaft im Wettbewerb grüner Technologien.

Welche Antworten muss Deutschland, muss die EU geben? Der Green New Deal müsse von der EU-Kommission zu einem Clean Industrial Deal weiterentwickelt werden. Wettbewerbsfähige Strompreise, der Ausbau des Stromnetzes und erneuerbarer Energien, der Abbau von Regulierungen – die Potentiale seien riesig, sagte Lösch. Gleichwohl seien Investitionsanreize derzeit unterentwickelt – es brauche dringend die Kapitalmarktunion und einen kohärenten De-Risking-Ansatz bei Investitionen. Investoren müsse die nötige Zuversicht gegeben werden, dass Investitionen für den Standort Deutschland und Europa zukunftsfähig sind.

Diskutiert wurde mit den Mitgliedern über die Frage, wie die Energiepreise gesenkt werden können und ob die bisherigen Instrumente dafür geeignet seien. Neben mehr Flexibilität wurde auch darauf hingewiesen, die Energiewende noch stärker im europäischen Raum zu denken, Potentiale zu bündeln und Kosten zu senken. Vertieft wurden ebenfalls die Herausforderungen angesichts des sich verschärfenden Handelskonflikts zwischen China und den USA. Auch die Frage, welche Maßnahmen auf den Weg gebracht werden müssen, um die Batteriezellenproduktion in Europa voranzutreiben, wurde noch einmal aufgegriffen.

Die in den kommenden Monaten von der Arbeitsaufnahme der neuen EU-Kommission und den US-Präsidentschaftswahlen geprägte industriepolitische Debatte werden wir weiter begleiten.