• Brüssel-Delegationsreise 2025

21.01.2025

Am 1. Dezember 2024 trat die neue Europäische Kommission ihr Amt an, bis Februar 2025 wird sie ihr Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre definieren – ein guter Zeitpunkt, der europäischen Hauptstadt einen Besuch abzustatten und sich vor Ort ein Bild über die aktuelle Lage zu machen.

Mit ca. 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, branchenübergreifend aus unserer Mitgliedschaft, ist das SPD-Wirtschaftsforum für drei Tage in Brüssel gewesen, um mit hochkarätigen Vertreterinnen und Vertretern der europäischen Institutionen darüber zu sprechen und zu diskutieren, wie die europäische Wirtschaft wieder auf einen wettbewerbsfähigen Kurs gebracht werden kann.

Die Themen könnten nicht drängender, die Herausforderungen nicht größer sein. Die multiplen Krisen, denen die EU sich ausgesetzt sieht, sind in allen Räumen und in allen Gesprächen zu spüren. Doch auch die strukturübergreifenden Lösungs- und Reformvorschläge, die auf dem Tisch liegen, insbesondere der Draghi-Report, sind ressortübergreifend omnipräsent und das Thema Wettbewerbsfähigkeit der EU steht auf der Agenda auf Platz 1.

Den Auftakt der Delegationsreise machten wir beim Ständigen Vertreter Deutschlands, Botschafter Michael Clauß, der die europäische Politik wie kaum ein Zweiter in langen Linien einordnen kann. Auch wenn sich die politischen Gewichte innerhalb der EU verschieben, die anderen 25 Mitgliedstaaten schauen immer noch auf Deutschland und Frankreich, die beide jedoch ihre Führungsrolle nicht mehr in der Form wahrnehmen können.

Einen weiteren Einblick in die Arbeit des Rates der EU gab es bei einem Austausch mit dem Generaldirektor von ECOFIN zum Thema Wirtschaft und Finanzen. Die Kapitalmarktunion beispielsweise wird als große Priorität angesehen, doch nachgelagert gibt es sehr große Hürden, die eine politische Einigung erschweren. Nationale Egoismen überwiegen querbeet durch den Kontinent.

Über die Erwartungshaltung und den Gestaltungsanspruch des Europäischen Parlaments informierten wir uns bei Prof. Dr. René Repasi, welcher der SPD-Gruppe vorsitzt. Über das grundsätzliche Ziel einer Entbürokratisierung und Vereinheitlichung der Berichtspflichten (CRSD, CSDDD, Taxonomie) besteht Einheit, in der Umsetzung wird es jedoch zu einer Güterabwägung kommen müssen. Ein Selbstläufer ist das Thema Bürokratieabbau keinesfalls und viele Hürden liegen letztlich auch in der Umsetzung auf unterer bis lokaler Ebene.

Der Fokus der Delegationsreise lag auf der Europäischen Kommission. Die Frage, wie ein „Clean Industrial Deal“ die Dekarbonisierung mit Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit zusammenbringt, haben wir im Rahmen einer eigenen Abendveranstaltung diskutiert, u.a. mit MdEP Jens Geier sowie mit der neuen Exekutiven Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Teresa Ribera. Auch mit dem Generaldirektor von DG CLIMA wurde diese Frage eingehend diskutiert. Einigkeit besteht über die Notwendigkeit einer kohärenten industriepolitischen Strategie – offen wird die Frage sein, mit welchen öffentlichen Mitteln diese bestritten werden und inwieweit das Beihilferecht dauerhaft flexibilisiert werden kann.

Die digitale Transformation stand insbesondere bei einem Austausch mit dem „AI Office“ der Europäischen Kommission im Vordergrund. Im Fokus steht hier die europaweit einheitliche und unbürokratische Umsetzung des AI Acts sowie der Förderung von industriellen Clustern, welche auch die KMUs und den Mittelstand einbezieht.

Das Thema industrielle Gesundheitswirtschaft und Lieferkettenmanagement in der Pharmazie wurde bei einem Austausch mit der neu geschaffenen „HERA“ erörtert. Die „Health Emergency preparedness and Response Authority“ zieht die Lehren aus der Covid-19-Pandemie und koordiniert u.a. europäische Beschaffungsmaßnahmen.

Schließlich bleibt auch das Thema Sicherheits- und Verteidigungspolitik virulent. Bei einem Besuch des Europäischen Auswärtigen Dienstes stand insbesondere der Ukraine-Krieg im Vordergrund als auch die „European Defence Industrial Strategy“. Klar ist: es besteht sehr großer finanzieller Handlungsbedarf im militärischen Bereich, vor dem Hintergrund einer angespannten fiskalpolitischen Lage. Auch das „European Policy Centre“, wo wir einen Austausch mit Fabian Zuleeg geführt haben, hat Szenarien der Europäisierung verschiedener Politiken durchgerechnet – die Synergiegewinne wären groß, die politische Wahrscheinlichkeit ist eher gering.

Trotz der insgesamt herausfordernden Grundsituation, am Vorabend der Trump-Inauguration, geht die Delegation des Wirtschaftsforums der SPD e.V. nicht nur mit großen Erkenntnisgewinnen, sondern auch einem Stückweit Optimismus zurück. Denn großer Druck von außen kann auch zu einem Zusammenrücken in Europa führen, das hat die Geschichte der europäischen Integration bereits öfter gezeigt. Lösungsansätze und umfassende Reformpakete werden in Brüssel, in stetiger Rückkopplung mit nationalen Hauptstädten und weiteren Stakeholdern, durchgerechnet und skizziert. Nun bedarf es großen politischen Mutes, in den nächsten Monaten und Jahren umfassende Strukturreformen anzugehen.