Das Bürgergeld steht im Zentrum vieler politischer und gesellschaftlicher Debatten. Über die Wirkung des Bürgergeldes und die von den Ampel-Spitzen im Rahmen der Wachstums-Initiative geplanten Verschärfungen haben wir diskutiert mit Prof. Dr. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Lehrstuhlinhaber an der Universität Regensburg.
In Zeiten der Knappheit und Transformation auf Qualifizierung und berufliche Entwicklung zu setzen, sei der richtige Fokus gewesen, betonte Prof. Dr. Enzo Weber. Die aktuelle Studien- und Datenlage zeige, dass sich die Übergänge aus dem Arbeitsmarkt in die Erwerbslosigkeit nach SGB II auf dem niedrigsten Stand seit Messbeginn befinden. Von einer „Kündigungswelle“ könne angesichts dieser Zahlen nicht die Rede sein.
Entscheidender, so Weber, sei die entgegengesetzte Richtung, nämlich die Trendbewegung aus dem Versicherungs- (SGB III) und Grundsicherungsbereich (SGB II) in Beschäftigung. Nach einem Corona-Einbruch habe sich die Übergangsquote normalisiert.
Im Grundsicherungsbereich ist ab Mitte 2022 ein deutlicher Rückgang der Übergangsquoten in Beschäftigung zu verzeichnen. Das sei jedoch nicht ausschließlich auf das Bürgergeld zurückzuführen; eine Reihe von Faktoren kämen in Frage: das Sanktionsmoratorium, die Integration von Geflüchteten aus der Ukraine ab Juni 2022, die Mindestlohnerhöhung und einen substanziellen Wirtschaftsabschwung. Auch ist mit Einsetzen der Energiekrise ein starker Rückgang der neu gemeldeten Stellen zu verzeichnen.
In einer viel beachteten Studie hat Enzo Weber die Effekte der einzelnen Faktoren abgeschätzt. Seit Einführung des Bürgergeldes sind die Jobaufnahmen insgesamt um 20% zurückgegangen. Das Bürgergeld habe zu einem Rückgang von 5,7% geführt und sei damit nicht der überwiegende, jedoch ein substanzieller, Teil. Gerade im Hinblick darauf, dass Verfestigungseffekte einsetzen, wenn Menschen länger in der Arbeitslosigkeit bleiben, ist es nicht unkritisch.
Gleichzeitig habe die empirische Literatur zu den Hartz-Reformen gezeigt, dass es trade-offs gäbe. Wenn man den Druck auf Bürgergeldempfänger erhöht, ließen sich zwar mehr Arbeitsaufnahmen erreichen, aber es seien dann vor allem auch schlechtere und weniger nachhaltige Jobs. Bei der Ausgestaltung von Sanktionen müsse man positive und negative Effekte gegeneinander abwägen.
Entscheidend sind aus seiner Sicht vier Aspekte für die weitere Betrachtung: Verbindlichkeit, Anreize, Qualifizierung und Unterstützung.
Verbindlichkeit
Im kürzlich vorgestellten Wachstumspaket der Bundesregierung habe man sich auf einen pragmatischen Weg geeinigt. Es sei gut, dass man sich nicht auf den Weg der Totalsanktionen begeben habe. Weber spricht sich dafür aus, statt härteren eher länger wirkende Sanktionen zu verhängen.
Anreize
Den Regelsatz hält Weber für nicht überzogen. Er stelle das Existenzminimum dar und es sei auch in Ordnung gewesen, ihn deutlich zu erhöhen, weil die Inflation gerade bei einkommensschwachen Haushalten besonders zu Buche schlug. Der Anpassungsmechanismus führe jedoch dazu, dass kurzfristig doppelt an die Inflation angepasst werde. Ökonomisch gesehen sei die Anpassung in 2024 tatsächlich zu hoch und werde im nächsten Jahr mit einer Nullrunde wieder abgeschmolzen. Aus Sicht von Weber ist das unglücklich, da es die Tür für hässliche Diskussionen öffne: In diesem Jahr wird der Regelsatz als zu hoch kritisiert und im nächsten Jahr werde es in die andere Richtung gehen. Stattdessen schlägt Weber einen Mechanismus vor, der zeitnah und kontinuierlich an die Inflation anpasst.
Anreize bei der Einkommensausweitung: Die Transferentzugsraten seien teils enorm hoch (bis zu 100%), was Anreize begrenze. Weber schlägt schon länger vor, das System zu integrieren und durchgängig Selbstbehalt zu gewähren. Zudem begrüßt Weber, dass sein Vorschlag einer Anschubhilfe mit zusätzlichen Anreizen im ersten Jahr, um Impulse zu setzen und Entwicklungen in Gang zu bringen, sich im Wachstumspaket wiederfinde.
Qualifizierung
Bei der Qualifizierung dürfe das Bürgergeld in keinem Fall zurückgedreht werden. Hier bräuchten wir mehr Bürgergeld und nicht weniger. Die Eintritte in Trainingsmaßnahmen sind in den letzten Jahren nicht gestiegen. Hier brauche es müssten wir mehr investieren und berufsbegleitende Qualifizierung ausbauen. Jobaufnahme und Qualifizierung müssten zusammengedacht werden.
Unterstützung
Zudem brauche es auch intensiverer Unterstützungsmaßnahmen. In der Grundsicherung gebe es zahlreiche Hürden. Neben der fehlenden Qualifikation spielen auch häufig gesundheitliche Einschränkungen, Sprachprobleme oder auch familiäre Verpflichtungen eine Rolle, denen man im Einzelfall gerecht werden müsse, um eine „positive Verbindlichkeit“ zu schaffen.
In der Diskussion mit unseren Mitgliedern wurden die Herausforderungen berufsbegleitender Qualifizierung und Vermittlung, dem Zugriff auf offene Jobangebote, aber auch der gesellschaftlichen Bedeutung von Arbeit, unabhängig der erforderlichen Qualifizierung, intensiv diskutiert. Verdeutlich wurde dabei auch, dass die negative öffentliche Einstellung zum Bürgergeld es jenen einfach mache, die pauschalisieren und suggerieren, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgezahlt werde. An dieser Stelle massive Kürzungen im Haushalt vorzunehmen, wird dem Investitionsbedarf für die Transformation in Deutschland in keiner Weise gerecht.
Mit den Vorschlägen des Wachstumspakets ist nun der Deutsche Bundestag im parlamentarischen Verfahren an der Reihe, ein gutes Maßnahmenpaket auf den Weg zu bringen. Wir danken Prof. Dr. Enzo Weber für die Einordnung und werden die Diskussion fortführen.