• Hintergrundgespräch mit Prof. Dr. Uwe Cantner

17.07.2025

Das Hintergrundgespräch mit dem Vorsitzenden der Expertenkommission Forschung und Innovation, Prof. Dr. Uwe Cantner, moderiert von Verbandsvizepräsident Matthias Machnig, widmete sich den Herausforderungen und Chancen deutscher Innovationspolitik im globalen Technologiewettlauf.

Im Zentrum stand die Frage, wie Deutschland und Europa in einer sich wandelnden geoökonomischen Ordnung ihre technologische und wirtschaftliche Souveränität behaupten können. Cantner betonte, dass sich der Begriff der Souveränität in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet habe – von digitaler über technologische bis hin zu ökonomischer und verteidigungspolitischer Souveränität. Der internationale Wettbewerb, insbesondere mit den USA und China, finde zunehmend über technologische Führerschaft statt.

Deutschland sei in vielen Schlüsseltechnologien wie KI, Mikroelektronik oder digitalen Anwendungen nicht wettbewerbsfähig und teilweise sogar langsamer als andere europäische Staaten. Lediglich in wenigen Bereichen – etwa Advanced Manufacturing, Biosciences und Photonik – könne man noch mithalten. Die Gründe sieht Cantner in einem systemischen Umsetzungsproblem: Zwar verfüge Deutschland über eine exzellente Grundlagenforschung, doch mangele es an einem funktionierenden Übergang in wirtschaftlich nutzbare Innovationen. Hochschulen und außeruniversitäre Einrichtungen seien oft nicht ausreichend darauf vorbereitet, Gründungen oder Technologietransfers zu fördern – mit wenigen Ausnahmen wie München oder Heidelberg.

Ein weiteres zentrales Hindernis liegt im fehlenden Wachstumskapital und fragmentierten digitalen Märkten in Europa. Dies verhindere Skalierbarkeit und reduziere die Innovationsanreize. Zusätzlich erschwerten bürokratische und regulatorische Hürden den Aufbau innovationsfreundlicher Ökosysteme – etwa durch langwierige Genehmigungsverfahren, aufwendige Förderanträge oder mangelnde rechtliche Klarheit bei Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Die Diskussion thematisierte zudem die Rolle des Staates bei Sprunginnovationen. Die Agentur SPRIND wurde von Cantner grundsätzlich als sinnvolles Instrument begrüßt, um langfristige und risikoreiche Innovationsprojekte zu fördern, die vom Markt allein nicht getragen werden. Dennoch müssten auch dort das Finanzvolumen gesteigert und regulatorische Freiräume geschaffen werden.

Stark diskutiert wurde auch das Spannungsfeld zwischen ordnungspolitischer Zurückhaltung und aktiver Industriepolitik. Cantner plädierte für eine koordinierte, aber horizontale Industriepolitik, die keine Dauersubventionierung vorsieht, sondern gezielte, temporäre Unterstützung mit klaren Kriterien für Rückzug und Erfolg bietet. Gerade angesichts tiefgreifender Strukturveränderungen in Industriebranchen wie der Automobil- oder Chemieindustrie sei es fahrlässig, sich allein auf Marktmechanismen zu verlassen. Ein intelligentes Zusammenspiel von Staat, Unternehmen und Wissenschaft sei essenziell.

Kritik äußerte Cantner an der oft fehlenden Führung in strategischen Fragen: Es mangele nicht an politischen Strategiepapieren, aber an deren konsequenter Umsetzung. Es fehle an Sichtbarkeit, Kommunikation und einer zentralen Führungsinstanz in der Bundesregierung. Zudem brauche es mehr Koordination zwischen Ministerien sowie zwischen Bund, Ländern und EU.

Ein weiteres Thema war die die Bedeutung von Rohstoffsouveränität – ein Bereich, in dem Europa laut Cantner noch viel zu wenig strategisch denke. Um geopolitisch resilient zu bleiben, brauche es neben technologischem Fortschritt auch ein realistisches Verständnis von globalen Abhängigkeiten und eine strategische Priorisierung in der Forschungs- und Innovationspolitik. Nur so könne Europa handlungsfähig bleiben und eigene Gestaltungsräume sichern.