Vom 5. bis zum 7. Juni hat das Wirtschaftsforum der SPD mit einer breit aufgestellten, branchenübergreifenden Wirtschaftsdelegation zum ersten Mal eine Delegationsreise nach London unternommen. Einen politisch besseren Zeitpunkt hätte dabei kaum getroffen werden können. In wenigen Wochen, am 4. Juli, findet die Wahl zum britischen Unterhaus statt. Ein Sieg von Labour scheint dabei sicher.
Wie die aktuelle wirtschaftliche Lage eingeordnet wird und welche Erwartungen an die künftige Regierung gerichtet werden, waren daher auch zentrale Gesprächsthemen unserer branchenübergreifenden Delegation. Die Delegation wurde durch unseren Vizepräsidenten Matthias Machnig geleitet, verbandsseitig haben zudem Heiko Kretschmer, Schatzmeister des Verbandes und unser Geschäftsführer Dr. Frank Wilhelmy teilgenommen.
Unser erster Austauschtermin fand mit Torsten Riecke, Internationaler Korrespondent beim Handelsblatt, statt. In der Diskussion sprachen wir über die wichtigsten Themen, die den Wahlkampf in Großbritannien dominieren. Die wirtschaftliche Produktivität zu heben, wird ebenso Aufgabe der künftigen Regierung wie der Umgang mit der knappen Haushaltssituation. Die durch neue Freihandelsabkommen erhofften positive Effekte seien bislang nicht erzielt worden. Gleichzeitig spiele der Brexit in der politischen Debatte kaum noch eine Rolle. Außen- und sicherheitspolitisch sollen die Strukturen zur EU formalisiert werden, berichtete Torsten Riecke.
Die wirtschaftliche Lage war insbesondere Thema beim Austausch mit Vicky Price, Chefökonomin und Board-Mitglied des Centre for Economics and Business Research (CEBR). Die knappe Haushaltslage sei unabhängig des Wahlausgangs die größte Herausforderung für die künftige Regierung. Steuererhöhungen seien deshalb kaum zu umgehen. Nicht zuletzt durch die Erfahrungen in Großbritannien sei aus ihrer Sicht eine langfristige Anpassung der Schuldenbremse in Deutschland anzustreben.
Beim Austausch mit RT Hon. the Lord Mandelson sprachen wir sowohl über die aktuelle wirtschaftliche und politische Situation als auch über Perspektiven und Herausforderungen der kommenden Jahre. Daran knüpfte auch unser Austausch mit Charles Grant, Direktor beim Centre for European Reform an, wo wir vertieft über die EU-Beziehungen sprachen.
Michèle Auga, Direktorin der Friedrich-Ebert-Stiftung UK und Irland, gab beim abschließenden Dinner interessante Einblicke in die Stiftungsarbeit vor und nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union.
Der zweite Tag der Delegationsreise begann mit einem Empfang in der Deutschen Botschaft, in welcher uns S.E. Herr Botschafter Miguel Berger begrüßte. Der Fokus der Diskussion lag dabei auf den Folgen eines Rechtsrucks bei den anstehenden Europawahlen. Ein Thema was ihn ebenfalls umtreibt, sind die drastisch eingebrochenen Schüler- und Studienaustausche, insbesondere bei der Zahl der Erasmus-Studierenden – eine unmittelbare Folge des Brexits.
Dass die Vollendung der europäischen Kapitalmarktion dringend benötigt wird, war Tenor unseres Austauschs mit der Association for Financial Markets in Europe (AFME).
Einen kohärenten Kapitalmarkt in Europa zu schaffen, sei eine der drängendsten Aufgaben der künftigen EU-Kommission. Außerdem diskutierten wir über Taxonomie, die grüne Transformation und Möglichkeiten, Investitionen institutioneller und privater Geldgeber zu heben.
Mit Dr. Denis MacShane, ehemaliger Staatsminister für Europa und Nordamerika, richteten wir den Fokus wiederum auf die britische Unterhauswahl und die Entwicklung der Labour-Partei in den vergangenen Jahren, die derzeit gute Aussichten hat, mit Keir Starmer den nächsten Premierminister zu stellen.
Der letzte Tag unserer London-Delegationsreise begann mit einem Austausch bei der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer, wo uns Generaldirektor Ulrich Hoppe berichtete, wie sich die britische Wirtschaft seit dem Brexit entwickelt hat. Trotz einem langfristig etwa 5 Prozent niedrigeren Potentialwachstum bleibt das Vereinigte Königreich ein attraktiver Markt für Unternehmen, insbesondere im Bereich der Dienstleistungen. Gerade im Bereich der Finanzdienstleistungen, KI, Pharma, grüner Energie, Luft und Verteidigung seien große Potenziale vorhanden, so Ulrich Hoppe. Kurzum: Das Vereinigte Königreich ist und bleibt ein wichtiger Wirtschaftsstandort.
Im Anschluss ging es weiter mit Sven Lohmann, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios. Sven Lohmann gab Einblicke in die britische Berichterstattung, die den Fokus stärker auf innenpolitische Themen jenseits der EU/Deutschland legt. Mit Blick auf den Wahlausgang am 4. Juli wird ein neu entfachender Richtungskampf unter den Tories erwartet.
Mit diesen spannenden Erkenntnissen aus drei Tagen voller Gespräche in London blicken wir gespannt auf die Unterhauswahl am 4. Juli und die Agenda der künftigen britischen Regierung. Für Deutschland, aber gerade auch die EU, wird das Vereinigte Königreich in den zentralen Fragen ein wichtiger Partner bleiben.