• Folgen der US-Wahlen für die transatlantische Sicherheitsarchitektur

12.11.2024

Dass die US-Präsidentschaftswahlen Einfluss auf die internationale Sicherheitsarchitektur haben, ist klar. Die strategische Ausrichtung der USA hat tiefgreifende Auswirkungen auf die internationale Gemeinschaft und Europas sicherheitspolitische Zukunft. Mit dem designierten US-Präsident Donald Trump wird es aller Ankündigungen nach eine Kehrtwende der vorangegangen Außen- und Wirtschaftspolitik geben.

Das Wirtschaftsforum der SPD hatte am Freitag, den 8. November 2024 die Ehre mit Prof. Dr. Wolfgang Ischinger, ehemaliger Botschafter in den USA und Großbritannien sowie langjähriger Präsident der Münchner Sicherheitskonferenz und damit nicht nur ein bedeutender Akteur in der globalen Sicherheitsarchitektur, sondern auch ein Brückenbauer zwischen verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Lagern, zu begrüßen. Seine Expertise und sein tiefgehendes Verständnis der internationalen Politik, insbesondere im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, machten ihn für uns und den teilnehmenden Mitgliedern zu einem herausragenden Gesprächspartner. Vor allem nach der Wahl Trumps, in der die Stabilität der transatlantischen Beziehungen infrage gestellt wird, ist seine Einschätzung von großer Bedeutung.

Entlang der von Verbandsvizepräsidentin Dr. Tanja Wielgoß moderierten Themenstränge Ukraine, NATO, Europa und Multilateralismus, Nahost und Asien-Pazifik sowie Außenwirtschaft und Handel konnten wir verschiedene Szenarien diskutieren, mit denen während Trumps Präsidentschaft zu rechnen sein könnte.

In der Vergangenheit hat sich Trump immer wieder als Friedenspräsident gegeben. Diese Inszenierung wird er vor allem in Bezug auf die Ukraine wieder versuchen, so Ischinger. Er glaubt, dass Trump allerdings nicht, wie viele Kritiker fürchten, sehenden Auges eine Vereinbarung mit Putin schließen würde, die die Existenz der Ukraine opfern würde. Er teilt dagegen die Sorge, dass die Position der Ukraine, der EU und der NATO in einer Vereinbarung missachtet würde. Wolfgang Ischinger stellte die berechtigte und wichtige Frage, wie sich Deutschland und Europa in so einer Situation verhalten sollten. Darüber müsse auf diplomatischer Ebene baldigst nachgedacht werden.

Er appelliert auch in der Frage der Verteidigungsfähigkeit an die Geschlossenheit der Europäer. Die USA habe nicht die Kapazität, die Präsenz in Europa in der gleichen Weise fortzuführen und zugleich im Asien-Pazifik-Raum auszubauen. Europa müsse den konventionellen Teil selbst tragen, so Ischinger. Das bedeute auch die absolute Priorität der Sicherheit und NATO-Politik in der nächsten Legislaturperiode. Deutschland sei besonders im Visier Trumps, auch aufgrund seines Glaubwürdigkeitsproblems, dass das NATO 2-Prozent-Ziel zuletzt zwar gerade so erreicht wurde, dessen Finanzierung in Zukunft jedoch offen ist. Beim Thema Ukrainehilfen, sagte Ischinger, habe er das Gefühl, viele Menschen würden diese immer noch als Benefizveranstaltung verstehen. Es gehe aber dabei um unsere eigene Sicherheit. Diese Art der Kommunikation vermisse er.

Was die Rolle der USA im Nahost-Konflikt angeht, so kann sich Wolfgang Ischinger ein Ultimatum-Szenario zwischen Trump und Netanyahu vorstellen – Waffenstillstand oder Stopp der Waffenlieferungen. Fraglich bliebe, ob Netanyahu diese Drohung beachte.

Um den schwelenden Konflikt zwischen China und Taiwan zu unterbinden, müssten endlich funktionierende diplomatische Instrumente aufgebaut und etabliert werden. Auch weil ein eskalierender Konflikt so schwerwiegende Folgen für die Weltgemeinschaft mit sich bringen würde, meint Ischinger. Die Konflikte China-Taiwan und Russland-Ukraine hängen aus Sicht Ischingers zusammen. Möchte die USA den Konflikt im Pazifik-Raum unterbinden, muss sie in der Ukraine klare Kante zeigen.

Im Bereich der Außenwirtschaft appelliert Ischinger daran, immer vom „worst case“ auszugehen und darauf entsprechend vorbereitet zu sein. Nachdem Trump mit Strafzöllen Wahlkampf gemacht hat, sei davon auszugehen, dass er in seiner Präsidentschaft Zollentscheidungen gegenüber China und Europa treffen wird. Logischerweise würden diese aber nur Symbolcharakter haben, denn Zölle würden in erster Linie negative Folgen für die US-Konsumentinnen und -Konsumenten haben. Handelskriege würden entsprechend nicht im Interesse der USA sein.

Wolfgang Ischinger betonte abschließend, dass das europäische Projekt nicht fallengelassen werden dürfe und wir uns als Union nicht auseinanderdividieren sollten. Die Zukunft läge nicht im Orbanschen Nationalismus, sondern in der Gemeinschaft. Die Emanzipation der EU sei dringend notwendig.

Wir danken Herrn Prof. Dr. Wolfgang Ischinger außerordentlich für seine Bereitschaft mit uns und unseren Mitgliedern ins Gespräch zu kommen.