26.06.2024

Standort Deutschland braucht Richtungskorrektur

Vom Niveau her noch gut, aber mit besorgniserregender Tendenz: So lautete die Bestandsaufnahme für den Standort Deutschland aus Sicht von Wirtschafts- und Politikexperten bei unserer Digitalkonferenz am 25. Juni. Im Gespräch mit Vizepräsident Matthias Machnig zeigten die Chefvolkswirtin der KfW, Dr. Fritzi Köhler-Geib, der Chief Economist der Prognos AG, Dr. Michael Böhmer, Prof. Dr. Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, und Achim Post, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, auf, wo gegenwärtig die größten Herausforderungen für den Standort Deutschland bestehen und wie sich gegensteuern lässt.

Angesichts der aktuellen Kennzahlen zum Standort Deutschland und dem schlechteren Abschneiden in internationalen Standortvergleichen waren sich die Experten darin einig, dass es dringender Maßnahmen insbesondere bei Investitionen und dem Thema Fachkräfte bedürfe. In diesen Bereichen sowie beim Thema steuerliche Belastung der Unternehmen belege Deutschland vermehrt schlechte oder sogar letzte Plätze. Zwar seien mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der erhöhten Frauenerwerbstätigkeit u.a. aufgrund besserer und erweiterter Kinderbetreuungsangebote Erfolge erzielt worden, diese blieben aber weit hinter dem zurück, was angesichts der Alterung der Gesellschaft und in der Folge dem Fehlen von Millionen von Fach- und Arbeitskräften jetzt erforderlich wäre.

Enormer Investitionsbedarf
Auch über die großen Lücken bei Investitionen herrschte Konsens. Die erst kürzlich vom BDI benannten ca. 400 Mrd. Euro an erforderlichen öffentlichen Investitionen in den kommenden zehn Jahren, wurden wiederholt zitiert. Gleichzeitig stimmten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darin überein, dass der weit überwiegende Teil der erforderlichen Investitionen von privater Seite zu stemmen sei. Aber auch im Bereich der privaten Investitionen schneide Deutschland im internationalen Vergleich schlecht ab, da in den meisten anderen Ländern sehr viel mehr Investitionen vom Privatsektor gestemmt würden. Es sei auffällig, dass Deutschland trotz dieser Erkenntnisse und trotz des Wissens um die Defizite „sehenden Auges in die falsche Richtung“ gehe.

Angesichts der immensen Investitionsbedarfe in einer Größenordnung von 400 bis 600 Mrd. Euro im öffentlichen Bereich und über einer Billion im privaten Sektor in der kommenden Dekade sei der Handlungsdruck jetzt enorm. Hinzu kämen die großen Aufgaben der Dekarbonisierung, der Sicherheit und der Bildung. Da reiche ein „kleines Dynamisierungspaket“ nicht, so Südekum.

Umso größere Bedeutung komme nun dem Haushalt 2025 zu, sowohl kurz- als auch mittelfristig. Mit Blick auf eine mittelfristige Lösung plädierten Jens Südekum und Achim Post dringend für eine Reform der Schuldenbremse. Hier würden kreative Lösungen benötigt.

Der Prognos-Chief Economist wiederum machte deutlich, dass es eines Rahmens bedürfe, der auch in einer dekarbonisierten und transformierten Wirtschaft erfolgreiche Geschäftsmodelle ermögliche.

Vorschub für Rechtspopulismus?
Schließlich befasste sich die Runde noch mit der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Austerität und Rechtspopulismus geben könne. Jens Südekum bejahte das und verwies auf Studien zum Brexit. Michael Böhmer hielt die Frage der Orientierung für entscheidend. Am Ende müsse eine Regierung ein Narrativ, eine Vision haben. Für Köhler-Geib wiederum stand fest, dass populistische Regierungen Wachstum kosten. Auch komme Transparenz eine wichtige Rolle zu. Eine gute Entscheidungsgrundlage ist aus ihrer Sicht Voraussetzung für gute Entscheidungen. Hier bestehe noch Verbesserungsbedarf, etwa auch mit Blick auf die Stärken des Föderalismus, die sich noch viel besser zur Geltung bringen ließen.