Altstadt von Erfurt

Am 20. Januar 2021 luden die drei Fachforen Stadtentwicklung, Bau & Immobilien, Kommunales sowie Handel & Konsumgüter zu einer gemeinsamen Digitalkonferenz ein, um über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Innenstädte zu diskutieren.

Nach der Begrüßung durch Schatzmeister Heiko Kretschmer berichtete Prof. Dr. Gesa Ziemer, Professorin für Kulturtheorie an der Hamburger HafenCity University und Direktorin des City Science Labs, welche Chancen und Herausforderungen sich für die Innenstädte ergeben. Sie wies dabei darauf hin, dass die Krise der Innenstädte mitnichten ein neues Phänomen sei, sondern dass die Zentren vielmehr daran leiden, dass sie ausschließlich als Orte des Konsums konzipiert worden sind. Die Corona-Krise öffnet nun ein „Window of opportunity“, um die Zentren wieder zu attraktiven Aufenthaltsorten zu machen. Für diese Transformation nannte Ziemer verschiedene Ansatzpunkte, etwa die Umnutzung von großflächigen Kaufhäusern zu multifunktionalen Gebäuden mit einer gemeinnützigen Erdgeschossnutzung, die Etablierung von autofreien Zonen für Fahrradverkehr, Spielstraßen oder Gastronomie oder die Schaffung von Kultur- und Begegnungsräumen. Darüber hinaus sei die derzeitige Krise eine Chance für mehr Natur in den Innenstädten und für mehr Lebendigkeit durch eine gestärkte Wohnfunktion. Hier müsse es ein klares Umdenken geben von hochpreisigen Angeboten hin zu flexiblen Grundrissen, Co-Living, bezahlbarem und generationenfreundlichem Wohnen. Daneben sei es wichtig, On- und Offlineshopping zukünftig von Beginn an zusammen zu denken, Büroflächen flexibel im Sinne von New Work-Ideen zu gestalten und neue Akteurskonstellationen für spannende Kooperationen in den Blick zu nehmen. Als übergreifende Idee müsse eine zukunftsfähige Innenstadt stets die soziale Durchmischung und die vielfältige Nutzung im Blick behalten.

Nach dem Impuls moderierte Andreas Breitner, Leiter des Fachforums Stadtentwicklung, Bau & Immobilien, die Diskussion mit Gästen aus Wirtschaft und Politik.

Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland (HDE) stimmte den Ausführungen von Professorin Ziemer als mittel- und langfristige Strategie vollends zu – Innenstädte müssen zu Erlebnisräumen werden, um attraktiv zu bleiben. Dafür muss und wird der stationäre Handel auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Genth verwies gleichzeitig auch auf die derzeit prekäre Lage des Einzelhandels: Neben dem Lockdown setzen den Händlern schlechte Konsumlaune und die hohen Mieten in den Innenstädten zu. Durch die Corona-Maßnahmen müssten Händler große Opfer bringen – der HDE befürchtet die Schließung von 50.000 Standorten bis 2025, darunter auch viele eigentlich gut aufgestellte Unternehmen. Die Verbindung von Online- und Offlineshopping ist auch aus Genths Sicht zukünftig wichtig, jedoch ist der online erwirtschaftete Umsatz gerade bei kleinen Unternehmen derzeit noch verschwindend gering.

Bernhard Daldrup, MdB, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, legte angesichts der zunehmenden Digitalisierungs-Debatten Wert darauf, dass die Stadt der Zukunft nicht nur eine „Ansammlung von Menschen mit einer IP-Adresse“ sei. Auch gelte es, bei der Förderung des Online-Handels die gesellschaftlichen Folgen in den Blick zu nehmen. Daldrup erachtet eine Verschärfung des Gewerbemietrechts als wichtig, ebenso eine Mittelaufstockung der Städtebauförderung und ein Aktionsprogramm für die Innenstädte. Auch baurechtliche Änderungen, insbesondere an der Baunutzungsverordnung, können sinnvoll sein, um Kommunen mehr Handlungsspielräume zu geben. Wenn es um die Attraktivitätssteigerung der Innenstädte geht, müssten immer auch die Aspekte Flächenverbrauch, Klimaschutz und generationenübergreifendes Wohnen mitgedacht werden.

Steffen Linnert, Beigeordneter für Finanzen und Wirtschaft der Stadt Erfurt, beschrieb die besondere Situation in seiner Stadt: Durch die sehr gut erhaltene Altstadt mit wenig Modernität und dem Charakter eines „Freilichtmuseums“ sei Erfurt einzigartig und hat damit einen großen Vorteil gegenüber vergleichbaren Städten mit weniger attraktiver Baulichkeit. In Erfurt hätte man sich schon früh um eine multifunktionale Innenstadt bemüht, etwa mit der gezielten Ansiedlung von Bildungsstätten, dennoch sei langfristig die Weiterentwicklung einer vielfältigen Innenstadtnutzung ein zentraler Erfolgsfaktor.

Reiner Nittka, Vorstandssprecher der GBI AG, sieht die Innenstädte vor gewaltigen Umbrüchen. Angesichts der erwarteten Insolvenzwelle im stationären Handel (die großen Warenhäuser sind hierbei die Vorläufer), der Probleme der innerstädtischen Shopping-Center, der Hotels und dem wahrscheinlichen Rückgang von Büroflächen in den Innenstädten, stelle sich mit Blick auf die Multifunktionalität zunächst die Frage, für wen man in Zukunft in den Innenstädten baut. Aus seiner Sicht führt die vermehrte Aufmerksamkeit, die die Quartiers- und Stadtteilentwicklung genießen, zu einer zusätzlichen Konkurrenz für die Innenstädte. Angesichts der oft prekären Haushaltslage der Kommunen gelte es aus seiner Sicht, privates Kapital von seriösen Investoren zu aktivieren, um die Lage der Innenstädte zu verbessern. Eine innovative Idee seien etwa Wohnfonds, die auch in geförderten Wohnungsbau investieren. Als Zielgruppe für das Wohnen in der Innenstadt identifizierte Nittka beispielsweise Studentinnen und Studenten sowie Seniorinnen und Senioren, weil gerade diese Zielgruppen an der guten Infrastruktur interessiert sind. Er plädierte weiter für eine gute Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und privaten Unternehmen und für eine schnelle Modernisierung der Verwaltungen.

Dr. Christian Lieberknecht, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (GdW), erklärte, dass das Wohnen in den Innenstädten für den GdW bisher nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte, da die Mitgliedsunternehmen in diesen Lagen nur sehr wenige Bestände haben. Stattdessen beschäftigt sich der Verband verstärkt mit der Problematik Stadt-Land, denn um Druck von den Städten zu nehmen, müsse das Wohnen jenseits der Metropolen wieder attraktiver werden. Nicht nur durch vermehrtes Homeoffice in Zeiten der Pandemie, sondern auch durch das Entstehen von Co-Working-Spaces in urbaneren Gebieten würden die Pendlerbewegungen zukünftig abnehmen. Lieberknecht wies auf den enormen Aufwand hin, mit dem Umnutzungen in Innenstädten verbunden sind, weshalb er sie für Ausnahmen und keinen generellen Trend hält. Eine Baurechtsänderung, um die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu verbessern, hält er für den richtigen Weg, um vor Ort individuelle Zukunftslösungen zu finden.

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