Die vielzitierte „soziale Frage unserer Zeit“ ist nach wie vor unbeantwortet: In und um die deutschen (Groß-) Städte mangelt es an Wohnraum, der für alle erschwinglich ist. Nicht nur schrumpft die Gesamtzahl der Sozialwohnungen seit Jahren, es fehlt darüber hinaus auch jenseits von öffentlichen Förderungen an Mietwohnungen für das untere Preissegment. Dieses Thema griffen wir in einer digitalen Veranstaltung am 17. Juni 2021 im Fachforum Stadtentwicklung, Bau und Immobilien auf.
Während viele etwa beim Thema Sozialwohnungen an Wohnungsbaugenossenschaften und städtische Gesellschaften denken, engagieren sich seit einiger Zeit auch immer mehr private Investoren und Immobilienfonds im geförderten Wohnungsbau. Thomas Meyer, Vorstandsvorsitzender der Wertgrund Immobilien AG, nannte dafür unterschiedliche Gründe: Geförderter Wohnungsbau stellt im Niedrigzins-Umfeld für Investoren eine stabile Anlagemöglichkeit mit gut kalkulierbaren Renditen dar – gerade auch durch die Corona-Pandemie deutlich stabiler als etwa Hotels und Shoppingcenter. Zum anderen spielt der Mentalitätswandel an den Finanzmärkten eine Rolle: Anlegerinnen und Anleger sind zunehmend auf der Suche nach sozialen und nachhaltigen Investitionen (ESG-Anlagekriterien). Hinzu kommt, dass sich die staatlichen Förderbedingungen in den letzten Jahren teilweise deutlich verbessert haben – diese sind allerdings in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. Nicht zuletzt wurden durch die gesteigerte politische Regulierung der Mieten Investitionen in Neubauvorhaben für Investoren attraktiver als solche in Bestände. Für die Wertgrund Immobilien AG waren diese Entwicklungen ausschlaggebend, um das Analysehaus Bulwiengesa mit einer Studie zu beauftragen, die Angebot und Nachfrage für geförderte Wohnungen in deutschen Städten analysiert.
André Adami, Bereichsleiter Wohnen bei der Bulwiengesa AG, stellte den Zuhörinnen und Zuhörern die Ergebnisse eben jener Studie vor. Adami stellte zunächst fest, dass das Ungleichgewicht aus Angebot und Nachfrage in den 26 untersuchten Städten immer größer wird: Während weiterhin insbesondere Menschen mit eher geringem Einkommen zuziehen (junge Menschen, Studentinnen und Studenten, Azubis), ziehen diejenigen mit größerem Einkommen gerade auch als Folge der Corona-Pandemie verstärkt in die urbanen „Speckgürtel“. Wenige geförderte Mietwohnungen treffen also mit steigender Tendenz auf viele Geringverdiener-Haushalte – der Bedarf an Sozialwohnungen steigt. Der Anteil von geförderten Wohnungen liegt im Mittel bei nur 9,2%, und das bei durchschnittlich etwa 35% Niedrigverdiener-Haushalten in den untersuchten Städten. Auch die Prognosen geben kein positives Bild ab: der geförderte Mietwohnungsbestand sinkt in allen Städten – nur Berlin stellt durch die Anstrengungen der letzten Jahre eine Ausnahme dar und wird durch Bautätigkeiten den Bestand zukünftig leicht erhöhen können. Die Studie zeigt: Es bedarf deutlich mehr Anstrengungen, um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen.
In der anschließenden Diskussion, die von Fachforenleiter Andreas Breitner moderiert wurde, vertieften die Gäste aus Wirtschaft und Politik das Thema.
Ralf Eisenhauer, Bürgermeister für Bauen, Planung, Verkehr und Sport der Stadt Mannheim, erklärte die Maßnahmen seiner Stadt für mehr Wohnraum: Seit 2018 greift in Mannheim eine Quotenregelung beim Neubau, die einen bestimmten Anteil an Sozialwohnungen vorschreibt. Darüber hinaus verfolgt die Stadt mit ihrem Bodenfonds das Ziel, mehr Boden zuzukaufen als zu verkaufen und so wieder mehr Baugrundstücke in kommunaler Hand zu bevorraten. Die Vergabe städtischer Grundstücke erfolgt dann nicht an die Höchstbietenden, sondern nach Erfüllung vorgegebener Umsetzungskriterien. Wer sich verpflichtet, einen höheren Anteil Sozialwohnungen zu bauen, bekommt städtische Grundstücke dann sogar vergünstigt. Was den Wohnungsbestand angeht, so setzt man in Mannheim auf die städtische Wohnungsbaugenossenschaft GWG und nutzte in den letzten Jahren 35 Millionen Euro Städtebauförderung zur Modernisierung. Eisenhauer machte deutlich, dass das Niedrigzinsumfeld eine große Chance dafür ist, mehr private Investorinnen und Investoren für langfristiges Engagement im sozialen Wohnungsbau zu gewinnen. Wenn die Zusammenarbeit zwischen Kommune und Investorinnen und Investoren partnerschaftlich verläuft, sieht Eisenhauer hier ein großes Potential, um die Bedarfslücken gemeinsam zu schließen.
Auch Stefanie Frensch, Sprecherin des Regionalvorstands Ost des ZIA und langjährige Geschäftsführerin der Berliner HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft, machte deutlich, dass ein partnerschaftliches Vorgehen zwischen Politik und Investoren und klare politische Rahmenbedingungen der Schlüssel zum Erfolg sind. Sie berichtete vom Bedarf nach günstigen Wohnungen in Berlin, der bei mindestens 100.000 zusätzlich liegt. Aktuell baut die öffentliche Hand ca. 6.000 Wohnungen im Jahr – ohne privatwirtschaftliche Akteurinnen und Akteure wird der Bedarf also nicht zu decken sein. Sie setze sich für attraktive Anschlussförderungen nach Ende der Belegungsbindung ein.
Dieser Forderung musste Andreas Tied, Bereichsleiter Immobilien und Stadtentwicklung bei der Investitionsbank Berlin, eine Absage erteilen – die Kosten dafür seien für das Land einfach deutlich zu hoch. Doch auch Tied begrüßte das Engagement der „Privaten“ im geförderten Wohnungsbau, denn die öffentliche Hand alleine können den riesigen Bedarf trotz großem Engagements nicht stemmen. Tied verdeutlichte aus Sicht des Kreditgebers noch einmal die Vorteile von Investitionen in mietpreisgebundene Wohnungen und deren Nachhaltigkeit.
Reiner Nittka, Vorstandssprecher der GBI AG, einem Projektentwickler für Wohn- und Gewerbeimmobilien, thematisierte die zum Teil katastrophal langen Genehmigungsverfahren in einigen Bundesländern, die den Neubau von Wohnraum erheblich erschweren. Dieses politische Problem gelte es, schnellstmöglich in den Griff zu bekommen – darüber herrschte Einigkeit bei allen Gästen. Nittka warb für eine differenzierte Sicht auf private Investorinnen und Investoren im Wohnungsbau – diese seien mitnichten alle „Heuschrecken“. Gerade in den letzten Jahren ist das Interesse am Wohnungsbau aus den oben genannten Gründen etwa bei großen Versicherungen, Pensions- oder Versorgungskassen deutlich gestiegen. Dieses Interesse stelle eine enorme Chance für die Schaffung des dringend benötigten Wohnraums dar, die von der Politik klug genutzt werden sollte. Für diese Sichtweise gab es in der Runde viel Zustimmung – nicht Konfrontation, sondern Dialog und Partnerschaft sollten Maßgabe in der Wohnungsbaupolitik sein.
Einig waren sich alle Rednerinnen und Redner auch darin, dass fehlende Baugrundstücke, deutlich zu langwierige Genehmigungsverfahren und die u.a. durch die Corona-Pandemie verstärkte Knappheit an Baumaterial und Handwerkerinnen und Handwerker Knackpunkte für mehr sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau sind.
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